■ Die CDU schickt Steffen Heitmann ins Rennen: Nationale Katastrophe
Ein sächsischer abgewickelter Holzfäller, einstiger Wähler Helmut Kohls, ruft diesem bei seinem letzten Leipziger Besuch drohend zu: „Du tust mir leid, Mann!“ Und was versteht unser Pfälzer Frohgemüt: „Heitmann“. Schon handelt der Kanzler und kürt der inneren Einheit zuliebe den Dresdner mit dem Sanitätsfeldwebelgemüt und dem Gesicht eines Wohnblockbevollmächtigten der Nationalen Front zum designierten deutschen Staatsoberhaupt. Freilich hätte dieser Hörfehler aufgrund des Gelächters wie der Empörung, besonders im Osten, längst korrigiert werden müssen. Es wäre ein leichtes gewesen, gesundheitliche Gründe anzuführen, etwa: Der Mann ist zwar geeignet, aber die Zähne eben. Die verkrampfte Lippenstellung bei jeder seiner peinlichen Ansprachen läßt unschwer erkennen, wie es um diesen rechtskonservativen Sparkassenmund bestellt ist. Nun fürchtet Heitmann den Gang zum Zahnarzt zwar offensichtlich mehr als jenen ins höchste Amt des Staates, aber das hätte die CDU nicht hindern dürfen, ihre neue sächsische Lichtgestalt blitzartig wieder in den Orkus zu schicken.
Hat sie aber nicht. Im Gegenteil. Seit Sonnabend ist es amtlich. Heitmann wird, da die FDP mit großer Sicherheit wieder umfällt, der nächste Bundespräsident. Die Folgen dieser Entscheidung sind zweifellos als nationale Katastrophe einzuordnen. Kohl vermittelt mit Heitmann nach innen und außen, gewollt oder nicht, ein Ostdeutschenbild, das sämtlichen nationalen und internationalen Negativklischees entspricht. So sind sie, diese Ossis, sagen schon heute unzählige Menschen im Westen und werden bald noch emsiger das betreiben, was der entthronte Honecker bis zur Perfektion beherrschte: deutschdeutsche Abgrenzung. Zum anderen schildert die Kür des Sachsen in erstaunlicher Klarheit den unglaublichen Zustand, in dem sich die wählerstärkste deutsche Volkspartei dank der fast 20jährigen Führerschaft Helmut Kohls tatsächlich befindet. Wer einem Richard von Weizsäcker einen Steffen Heitmann folgen läßt, muß entweder von Intellektuellenhaß von schier stalinscher Dimension besessen sein, oder er hat, was wahrscheinlicher ist, zu keinem Zeitpunkt begriffen, was Weizsäcker samt seiner Intelligenz und Moral für dieses Land bedeutet.
Dem Kanzler aber geht es wie stets nur um die Macht, an der übrigens der derzeitige Bundespräsident niemals gekratzt hat. Es sei denn durch seine bloße Anwesenheit und die Vergleiche, die jeder zwischen jenen beiden Männern zog. Auch dies mag ein Grund für die Entscheidung zugunsten Heitmanns sein. Die Blinden mit dem einäugigen König. In Heitmann dokumentiert Kohl anschaulich, was er unter sittlich-moralischer Erneuerung versteht: Liebedienerische Anpasserei, Mitläufertum, dumpfe Biertischbefindlichkeit und ein Frauenverständnis, das schon in der Weimarer Republik zu den Auslaufmodellen zählte. Was bleibt? Ein Land, das dank eines so unsensiblen wie machtbesessenen Mannes und seiner von Gefolgschaftskrämpfen gebeutelten Partei immer weiter zu jenen Abgründen zurücktaumelt, die schon passiert schienen. Ein Volk, das nun auch den letzten Respekt vor denen da oben verliert. Und Gräben, die gerade durch Kohls dünnen Mann aus Sachsen nicht überwunden, sondern immer tiefer werden. Henning Pawel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen