: Nah am Zielgeschlecht
■ n-tv legt Schal und Bescheidenheit ab
Berlin (taz) – Die wichtigste Nachricht kam noch vor dem Knopfdruck: „Wir lassen den formalen Schnickschnack, deshalb lege ich den Schal ab.“ Peter Staisch, Chefredakteur von Deutschlands erstem Nachrichtenfernsehen n-tv, nahm sich das karierte Ding von der Schulter und drohte seinen früheren Arbeitgebern von der ARD gestern vormittag um kurz vor elf: „Bei uns ist es immer 20 Uhr.“
Den Startknopf drückte dann in Berlin-Mitte um genau 10.59 Uhrund 59 Sekunden Bundespostminister Schwarz-Schilling. Ganz eingeschworen auf die n-tv-Werbung der letzten Wochen, nahm auch er den Mund ganz voll. Vom „zweiten Knopfdruck epochaler Art“ nach dem Startschuß von 1982 für das duale System lobhudelte er.
Damit die Finanzen bei n-tv stimmen, machte Geschäftsführer Karl-Ulrich Kuhlo gleich ein Sonderangebot. Die notwendigen Werbekunden werden mit dem „Kennenlern-Tarif“ von 1.000 Mark pro Spot geködert. Damit n-tv auch weiß, für wen es sendet, wurde noch letzte Woche die Marktforschung bemüht. Ergebnis: Nutzer wären vorrangig Männer mit höherem Bildungsgrad zwischen 30 und 49 Jahren.
Entsprechend seriös gab sich das neue Programm: bei zurückhaltender Präsentation hielten sich die Programmierungsfehler für „Hintersetzer“ und Headlines in Grenzen, die Nachrichtenfolge setzte auf Solidität – ganz ohne Schlagzeilengeschrei. Die MAZ- Einspielungen waren nicht alle aktuell, sondern gaben mit Archivaufnahmen Hintergrundinformationen vor. Um so lauter ging es dann – getreu dem Logo „news und business“ – nach den ersten 15 Minuten weiter. Friedhelm Busch berichtete eine geschlagene Viertelstunde aus der Börse – marktschreierisch wie vom Rand eines Fußballfelds. Wenn die Annahme stimmt, daß im „business“ vor allem Männer arbeiten, dann bleibt der Sender damit ganz nahe an seinem demoskopisch anvisierten Zielgeschlecht. Roland Rieger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen