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Nachwuchs im Bundestag

■ Happening im Bundestag / Grün–autonome Jugendliche hielten sich an keine Form / Hafenstrassen–Solidarität vor Bundespräsident / „Der Plenarsaal ist ein Ort, an dem nicht irgendwelche Transparente regieren“

Aus Bonn Oliver Tolmein

Ganz alte Töne gaben am Montag vormittag im Bundestag einen neuen Klang: „Völker hört die Signale...“ sangen Jugendliche von den Falken, und die grün–autonomen Gäste im Rahmen des Besuchsprogramms „Jugend im Parlament“ fielen ein. Die „Internationale“ erkämpfte dann aber nicht das Menschenrecht, sondern Bundestagspräsident Jenninger entzog, dem 50 Stimmen starken Chor das Sangesrecht. Die rasch angerückten Sicherheitskräfte stopften den Aufmüpfigen, die keine Lust hatten, das brave Bild von der Jugend zu reproduzieren, den Mund, und die von der CDU/ CSU eingeladenen 200 Jugendlichen skandierten: „Raus, raus, raus!“. Eine Bundestagsdebatte als Happening - das hatte es seit den ersten Monaten nach dem Einzug der Grünen ins Parlament nicht mehr gegeben. Die Übung ist alt. „Jugend im Parlament“ wird alle Jahre wieder veranstaltet. Dem Parlament dient es dazu sich volksnah zu geben, um den Nnachwuchs für den Bundestag zu begeistern. Zum Eklat kam es bisher einmal, als die Grünen Punks aus Kreuzberg in die ehrwürdigen Hallen holten und diese den Bundesadler mit Farb beuteln bewarfen. Die 38 von den Grünen nach Bonn eingeladenen Jugendlichen kamen vor allem aus den grün–autonomen Jugendgruppen, die ein stark entwickeltes Eigenleben führen. Schon vorab war der gut eingespielten Crew klar, daß sie das Parlament nicht so ernst nehmen wollten: „Fun muß dabei sein, Politik muß Spaß machen.“ Als ein Redner sich zum Thema „Sportler und Politik“ ausließ, ergriff eine grüne Frau die Gelegenheit zur Zwischenfrage: „Findest du es okay, wenn wir grünen Frauen jetzt den Saal verlassen, weil du immer noch nicht begriffen hast, daß es auch Sportlerinnen gibt?“ Der Redner fand das „nicht fair“ - und die Grünen gingen raus. Als sie ihren eigenen Redebeitrag, gehalten von einer Frau aus Hannover, nutzten, um „Die Hafenstraße bleibt“ zu fordern und dazu ein Transparent entrollten kam es zum Gemenge mit den Saalordnern: „Machen Sie hieraus doch keine politische Veranstaltung“, brüllte einer von denen die jungen Aktionisten an. Nachdem wieder Ruhe im Plenarsaal eingekehrt war, wurde das zweite Transparent entfaltet: „Wir sind immer noch nicht sprachlos“. Als dann auch noch Seifenblasen Richtung Präsidentenpult ge blasen wurden, platzte Herrn Jenninger der Kragen: „Der Plenarsaal ist ein Ort, an dem das Wort regiert und nicht irgendwelche Transparente“. Retten konnte er damit die Würde des Augenblicks aber auch nicht mehr. „Zugabe, Zugabe“, klang es von den oppositionellen Jugendlichen, und der nächste Redner, ein ordentlich mit Schlips verkleideter Jungsozialist, eröffnete seinen Redebeitrag mit: „Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Genossen und Genossinnen“. Da guckte selbst Hans Apel ganz verkniffen.

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