Kein Klopapier, aber großartiges Panorama

Der Ausblick im Nachtzug von Belgrad nach Bar entschädigt für den geringen Komfort

Von Florian Seidel

Der Nachtzug aus der serbischen Hauptstadt Belgrad nach Bar in Montenegro ist noch ein echtes Abenteuer. Kurz vor halb neun abends rollt der mit zwei E-Loks bespannte Nachtzug pünktlich im neuen Bahnhof Beograd-Centar ein, wo die meisten Mitfahrenden einsteigen.

Die Vielfalt der Mitreisenden ist groß. So treffen in den Abteilen kostenbewusste serbische Ur­lau­be­r*in­nen auf westliche und auch viele chinesische Rucksackreisende.

Die verwendeten Wagen sind eine beinahe ebenso bunte Mischung aus in die Jahre gekommenen plüschigen Sitzwagen, stilvollen Schlafwagen italienischer Herkunft und Liegewagen, die eher spartanisch wirken.

Es gibt keinen Speisewagen oder Essensverkauf an Bord. Einige Male läuft ein Mann durch die Gänge und bietet aus einer Plastiktüte Wasser, Saft und Bier zum Verkauf. Ansonsten ist man auf das angewiesen, was man selbst mitgebracht hat. Da sich über dem Bahnhof Beograd-Centar nach jahrelanger Bauzeit inzwischen zwar eine hypermoderne Ankunftshalle erhebt, es aber dort und auch in der Umgebung kaum etwas zu kaufen gibt, sollte man sich ausreichend mit Proviant eindecken, bevor man den Weg zum Bahnhof antritt. Die Fahrkarte erwirbt man am besten am Bahnhofsschalter, in der Hauptsaison möglichst bereits einige Tage vor dem Reisetermin.

In den Liegewagen sollte man nicht mehr erwarten als sechs straff gepolsterte Liegen pro Abteil, eine dünne Decke und ein Kopfkissen, immerhin jeweils mit frischen Bezügen. Keine Vorhänge, keine Verriegelungen an den Abteilen, keine Klimaanlage. Die Zugtoiletten gehören ebenfalls eher zur einfachsten Kategorie. Mitgebrachtes Toilettenpapier und Desinfektionstücher sind unverzichtbar.

Nachtzüge sind eine umweltfreundliche Alternative zu vielen Flügen. Die taz stellt deshalb in loser Folge Verbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen vor. Denn viele Angebote sind kaum bekannt. Wir schreiben aber auch, was besser werden muss, damit sie für mehr Menschen attraktiver werden.  Alle vorherigen Folgen finden Sie auf www.taz.de/nachtzugkritik

Der Zug unterbricht seine ruckelnde Fahrt recht häufig, auch wenn auf den kleinen, dunklen Bahnhöfen mitten in der Nacht kaum jemand aus- oder einzusteigen scheint. Gegen vier Uhr morgens kommt die Grenzpolizei Montenegros durch den Zug und kontrolliert lässig einige Reisedokumente. Mit der Zeit entsteht so eine Verspätung gegenüber dem Fahrplan von ungefähr einer Stunde.

Was macht also den Reiz dieser Zugfahrt aus? Da ist zunächst einmal der Preis: Umgerechnet 21 Euro bezahlt man für die Fahrkarte in der 2. Klasse für die knapp 500 Kilometer von Belgrad bis nach Bar, ein Liegeplatz schlägt noch einmal mit etwa 7 Euro zu Buche. Dann die Vielfalt der Mitreisenden und das Gefühl, auf einer wirklich geschichtsträchtigen Strecke zu reisen. Im Jahr 1976 wurde das kostspieligste Infrastrukturprojekt des damaligen Jugoslawiens fertiggestellt, nach jahrzehntelangen Planungen und langer Bauzeit. Die strategisch bedeutsame Strecke weist über 250 Tunnels und beinahe ebenso vielen Brücken auf. Heute wird sie mit chinesischem Kapital modernisiert.

Das Beste an der Reise ist aber das großartige Panorama der Landschaft Montenegros, durch die man morgens bei Sonnenaufgang fährt. Vom höchsten Punkt der Strecke auf etwa 1.000 Meter Höhe bis hinunter zur Adria bieten menschenleere Berglandschaften im schnellen Takt der Brücken und Tunnel ein dramatisches Schauspiel. Zum Glück lassen sich die Fenster für einen ungehinderten Blick nach draußen öffnen, auch wenn die Zugbegleiter das nicht gerne haben. Zwischen der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica und der Hafenstadt Bar fährt der Zug auf einem Damm über den weiten Skutarisee. Links im Hintergrund meint man schon, Albanien zu erkennen, dann folgt der lange Tunnel Nummer 250 durch die letzte Bergkette, und der Zug erreicht das Meer. Dass der Zug nicht pünktlich um halb acht ankommt, welche Rolle spielt das schon in diesem Moment?