Sanssouci: Nachschlag
■ Eher ein Workshop
Er wolle dem Publikum Freude bereiten, sagt der italienische Herr mit Halbglatze, Hornbrille und Anzug auf englisch – die Freude, lebend aus dieser Show herauszukommen. Dann entblößt er die Zähne zu einem schiefen, höhnischen Grinsen, zupft mitleidig an einer der Plastikplanen, mit denen Tische und Zuschauer der vorderen Reihen vorsorglich abgedeckt wurden, springt auf die Bühne und fängt an.
Aber es ist kein Inferno, was Leo Bassi, der selbsternannte Terrorkomödiant, im BKA-Zelt entfesselt. Er spritzt mit Wasser herum, zermatscht mit einem riesigen Vorschlaghammer eine Melone, tanzt ein bißchen, jongliert mit Basketbällen und einem überdimensionalen Aktenkoffer, spuckt Feuer – und kommentiert sich dazwischen ausführlich. Seine Show gleicht nicht selten einem Workshop. Bevor er sich entschließt, einer Zuschauerin einen Pappteller mit einem Häufchen Rasiercreme ins Gesicht zu drücken, zieht er das Publikum umständlich ins Vertrauen. Bassi erklärt, weswegen komisch ist, was nun folgt, daß er 99 Leute glücklich mache, wenn er den 100. quält, und daß die Nummer nur funktioniert, wenn das Opfer Angst davor habe, gequält zu werden, damit auch er auf seine Kosten kommt. Das läßt sich schneller verstehen als erläutern.
Leo Bassi steht sich selbst auf weiten Strecken seiner Show im Weg. Er will originell sein, aber auch eindeutig. Er will schockieren und belehren. Er will unterhalten und traurig machen. Beispielsweise legt er sich am Rande mit nacktem Rücken in Glasscherben, wobei er einen BKA-Mitarbeiter bittet, sich ihm auf den Bauch zu stellen – ein masochistischer Akt aus reinem Selbstzweck, wie zuvor angekündigt wird: Nicht aus Vaterlandsliebe, nicht aus humanitären Gründen werde sein Blut fließen, sondern einfach so. Die einsame Freiheit des Clowns.
Bassi stilisiert sich zu einer Art Heilsbringer. Die Leute sollen ihn lieben, weil sie sich besser und schlauer fühlen können als er. Einerseits. Andererseits sollen sie ihn beneiden um sein kreatives Chaos und seine Konzentration auf Zweckloses. Daß seinen Talenten auch eine gefährliche Potenz innewohnt, zeigt er in der tatsächlich überzeugend wirkenden Hypnosenummer. Ohne Pendel und tiefes In-die-Augen-Schauen versetzt Bassi mit einem Shiatsu-Druck und einigen Worten und Bewegungen zwei Besucher in Windeseile in Schlaf. Und liefert Beweise seiner Suggestivkraft: Als sie wieder aufgeweckt werden, bekommt die Frau auf das Stichwort „Italy“ ihre Hände nicht mehr auseinander, der Mann drückt sich auf „four“ Rasiercreme ins Gesicht. Applaus und Erschütterung, Bassi strahlt.
Leo Bassi verfügt über Charme, Scharfsinn und komisches Talent. Aber sein zur Schau gestellter Anarchismus ist bis ins Detail geplant. Und er ist eitel. Er will kein Clown sein, sondern gleich ein Weiser. Über die Bühnenrückwand flackert die Digitalanzeige: „Wenn Gott ein Gesicht hätte... würde er aussehen wie ich ... Leo Bassi.“ Eine Nummer kleiner hätte es auch getan. Petra Kohse
Weitere Vorstellungen bis zum 14.11., täglich außer Sonntag, 20 Uhr, BKA-Zelt an der Philharmonie, Tiergarten.
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