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SanssouciNachschlag

■ Heinz Rudolf Kunze mit neuem Programm im SFB

Gut gebügelt kam Heinz Rudolf Kunze schon immer daher. Der schwarze Anzug, mit dem er bei seinem Publikum hausieren geht, ist schon fast eine Art Markenzeichen für den germanistikpromovierten Musiker aus Hannover. Doch so richtig chic war er darin nie. Nach dem Texasstiefel-Intermezzo in den letzten Jahren hat er in seinem neuen Programm, das den anagrammierenden Titel „Der Golem aus Lemgo“ trägt, endlich zu seinem Stil gefunden: Kein weiß-gestärktes Hemd trägt er, sondern ein lässig schwarzes Shirt, was seine dicke Hornbrille erstmals so wirklich gut als Intellektuellen-Design zur Geltung bringt.

In musikalischer Hinsicht bietet das „Golem“-Programm, das Kunze im SFB uraufgeführt hat und mit dem er nächstes Jahr auf Tournee gehen wird, nichts Neues. Die Songs, die er zusammengestellt hat, sind Kunze-Evergreens wie der Gassenhauer „Lola“ und das unselige Rührstück „Ich hab's versucht“. Neu sind die satirischen Texte, die bei Kunze über die Hälfte des Programms ausmachen. Das ist auch gut so. Seit seine anspruchsvoll getexteten ersten Scheiben kommerziell in die Hosen gingen – an der Spitze der Unverkäuflichkeit steht immer noch seine unbestreitbar gute LP „Reine Nervensache“ –, fährt Kunze nämlich eine doppelte Strategie: Die Elemente, die der Rockpoet nicht gemeinsam in den Kommerz schleusen konnte, trennt er nun fein säuberlich. Aus der Musik hat er die bissigen Texte herausdestilliert und gibt sie zwischen den Songs zum besten: mal kluge Beobachtungen, mal Klamauk, mal sarkastischer Kommentar. Zu allem läßt er einen markigen Spruch ab, vom Skinhead-Opfer über Hippies, Bärte, Kanzlerkandidaten, Dental-Labor-Besitzer und Kinderschänder schlägt Kunze wortwitzig den großen Bogen. Auch Telefon-Sex weiß er irgendwie mit der Sesamstraße unter einen Hut zu bringen. Überaus platt sind allerdings Formeln wie die, daß alle Stasis dieser Erde im Vergleich zum Weltsicherheitsrat des Vatikans doch bloß Taubenzüchter seien. Da ist mit dem Denker wohl doch der Dichtergaul durchgegangen.

Kunzes Betrachtungen sind nicht mehr – wie früher – auf apokalyptisch getrimmt. Auch er hat gemerkt, daß mit den Utopien, die wir uns in den Achtzigern abgeschminkt haben, auch die Endzeit-Phantasien vom Tisch sind. Da aber nun auch die letzte eindeutige Zielrichtung fehlt, mangelt es dem Ganzen (trotz textlicher Stärken im Einzelfall) an Biß. Auch der Darbietung. Nicht einmal das Stück „Außer Rand und Band“ treibt ihm Schweißflecken aufs Hemd. Er wackelt die Sache als behäbigen Klavier- Schemel-Rock daher. Irgendwann verrät er uns im Titelsong seines neuen Albums „Draufgänger“ auch: „Was das Leben betrifft, sind wir alle Amateure.“ Wer hätte das gedacht? Andrea Kern

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