Sanssouci: Nachschlag
■ Theater Skoronel zeigt Handkes "Publikumsbeschimpfung"
Wie inszeniert man eine Legende? Um das zu erkunden, hat eine kleine Schar Neugieriger den Weg in die gespenstisch leergeräumte Akademie der Künste Ost gefunden. Einst hatten hier im protzig-güldenen Amphitheater Politiker der Volkskammer bedeutenden Reden gelauscht und ernste Entscheidungen getroffen. Jetzt steht da unten nur frech ein Kerl in Jeans, im legeren roten Hemd und feixt das Publikum an. Und das Publikum feixt zurück. Große Spannung. Man ahnt, was passieren wird, man ist gekommen, sich beschimpfen zu lassen, und darauf freut man sich. Viele kennen den Text. Viele wissen, daß dieses Sprechstück von Peter Handke eine Legende ist. Daß es 1966 einen Theaterskandal verursachte. Daß darin der Theaterbesucher direkt angesprochen, „thematisiert“ wird, ohne Handlung, ohne Darsteller, ohne Illusion. Das will man sehen.
Und was sieht man? Wenig mehr als nichts. Zu dem frech Feixenden gesellen sich noch zwei freundlich Grinsende, ein Männchen mit Schlips und wenig Haaren, ein Wuschelkopf im Wuschelpullover und noch zwei andere, deren Äußeres ich schon wieder vergessen habe. Sie bauen sich herausfordernd vor dem Publikum auf, fixieren es und legen los. Von Seite 1 bis Seite 47. Das ganze Sprechstück wird gesprochen. Mal sanft oder zögernd, mal chorisch oder a cappella. Selten laut oder aufdringlich, selten leise oder eindringlich. Ganz aufregend wird es dann, als sie beginnen, sich in einer feinen Choreographie zu bewegen. Der zweite von links geht nach vorne, dann der dritte von rechts nach hinten, dann der in der Mitte zur Seite. Oder umgekehrt. Jedenfalls bewegen sie sich in geordneten ungeordneten Bahnen. Das ausführende Theater Skoronel (Regie: Thomas Lorenz-Herting) ist ja ein Tanztheater, bravo! Wie beiläufig setzen sich einige auf Zuschauerplätze, wie beiläufig drehen sie dem Publikum den Rücken zu, machen Kaffeepause, spielen „nicht spielen“.
Spielen? Ja spielen sie denn? Spätestens bei diesem Wort hört der Rezensent den bekannten, monotonen, kurzen Hauptsätzen von Handke nur noch wie beiläufig zu. Und denkt: Sie sagen, sie spielen nicht; sie sagen, es sei kein Schauspiel; sie sagen, die Erwartung wird enttäuscht; sie sagen, das Theater finde nicht auf der Bühne, sondern im Parkett statt — und doch spielen sie ja. Mit Mimik spielen sie, mit Bewegung spielen sie, mit dem Tonfall spielen sie. Zweifellos. Natürlich ist das ein eher zaghaftes Spiel, aber immerhin Spiel. Selbst das Ende, die eigentliche Publikumsbeschimpfung, gipfelnd in „Ihr Mitmenschen Ihr“, ist Spiel. Genauer: didaktisches Schauspiel, eine Deutschstunde auf dem Theater, die vor vielen, vielen Jahren noch einen Skandal verursachen konnte. Merkwürdig. Dirk Nümann
Noch heute bis zum 29.1., 20.30 Uhr, Akademie der Künste, Luisenstraße 58–60, Mitte sowie am 30.–31.1 und 2., 5. und 6.2., 20.30 Uhr, Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz.
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