Sanssouci: Nachschlag
■ Rituelles Spektakel: Richard O'Briens "Rocky Horror Show" in den Berliner Kammerspielen
Rituelle Feste sind dazu da, daß man über die Stränge schlagen und gleichzeitig doch in den Grenzen des Erlaubten bleiben kann. Die Regeln des Rocky-Horror-Kults sind mindestens so fest wie die des Kölner Rosenmontagszugs. Am Veilchendienstag strömte ein mit Reis und Wasserpistolen, Mehl und Klopapierrollen reich versehenes Publikum in die Berliner Kammerspiele, um wieder einmal bei Brads und Janets gruseligem Bildungsroman mitzumischen. Natürlich in wohlgeordneten Bahnen: „Bitte keinen Reis oder Wasser auf die Bühne werfen und keine Wunderkerzen entzünden“, ertönte es am Anfang des Spektakels mahnend aus dem Lautsprecher.
Dann war es schön, wie immer, wie im Film. Frank N. Furter (Felix Martin), der „sweet transvestite from the transsexual Transsylvania“, trägt wie gewohnt schwarze Strümpfe und Schnürleibchen, Brad (Andreas Lachnit) einen Anorak in solidem Rentnergrau über der Feinripp-Unterwäsche. Und der sinistre Butler Riff-Raff (Adrian Becker) wirft seine schüttere Mähne über den Lumpenfrack. Die Geisterbahn-Ästhetik der blutbeschmierten Säulen erstreckt sich bis auf den Luftraum über den Zuschauern, wo drei Rudel Fledermäuse an Drähten ihre gemächlichen Bahnen ziehen. Die Wände der von Knut Hetzer gestalteten Bühne sind in sachlich weiße Rechtecke eingeteilt, die für Lichteffekte zwar günstig sind, sonst allerdings an die Schließfächer am Bahnhof Zoo erinnern.
In Kleinigkeiten weicht die Show unter der Regie von Anna Vaughan – die das Stück schon 1987 am selben Theater inszeniert und choreographiert hat – vom Film-Vorbild ab. Rocky (Carl Hudson), das künstlich erzeugte Muskelwunder, ist nicht mehr blaß, sondern eine schwarze Schönheit. Brad und Janet (Katja Brauneis) erleben ihre Reifenpanne auf einer schlichten Eisenstange mit Lenkrad, und immer wieder huschen – ein buchstäblicher Running Gag – elektronisch betriebene Ratten über die Bühne. Sonst aber verläßt sich die Inszenierung aufs Bewährte: auf durchweg gute Gesangs- und Tanzleistungen (vor allem auf die von Felix Martin) und einen extrem hohen Wiedererkennungswert.
Dabei wäre es sicher reizvoll gewesen, Richard O'Briens „Rocky Horror Show“ einmal anders zu sehen, und sei es nur in anderen Kostümen oder ohne verhüllende Laken vor Verführungsszenen und Kettensägenmassakern. Schließlich hatte die Show bei der Uraufführung 1973 noch eine Schockwirkung! Es blieb jedoch beim Ritual, und meistens sind Rituale ja auch stärker als alle Versuche, sie abzuschaffen oder zu reformieren. Mit klopfenden Herzen und Reiskörnern in den Haaren, naßgespritzt, aber glücklich bestand das Publikum auf einer Zugabe nach der anderen. Wiedersehen macht eben Freude. Let's do the Time Warp again! Miriam Hoffmeyer
Bis auf Widerruf, Di.–Sa., 19.30 Uhr, Berliner Kammerspiele, Alt-Moabit 99, Tiergarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen