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SanssouciNachschlag

■ Theater über und jetzt auch Theater im Hotel: "Sophies Nacht"

Das Hotel als Kleinwelt ist ein beliebter literarischer Schauplatz: Personen stoßen aufeinander und gehen wieder auseinander. In Berlin gibt es derzeit gleich zwei Stücke aus dem Übernachtungsgewerbe zu sehen. Im Maxim Gorki Theater sitzen ältliche Damen ihr Restleben in Mietzimmern ab („Ladies im Hotel“), und in der Originalkulisse des Sorat Hotels Gustavo in der Prenzlauer Allee hat Sophie auf einem Zimmer gerade den ersten Dreier ihres Leben hinter sich gebracht. Einsam, müde und mit beflecktem Kleid hockt sie in der Halle, argwöhnisch beäugt von der herumwuselnden Putzfrau, dem hinter einer Zeitung versteckten Nachtportier, einem Telefonisten und dem Hotelboy. Es ist spät und das Foyer verödet. Man wartet auf den Morgen, der für die Angestellten das Ende der Arbeit bedeutet und für Sophie vielleicht einen besseren Tag. Und weil die Müdigkeit die Schutzhüllen der Gefühle löchrig macht, entsteht so etwas wie der mögliche Beginn einer Geschichte zwischen der gestrandeten Gästin und dem unaufhörlich um sie herumschleichenden Boy. Wer die Filme von Chantal Akerman kennt, ahnt, daß den beiden kein Happy-End vergönnt sein wird. Wie bei ihren Leinwandwerken entwickelt die belgische Filmemacherin auch in ihrem 1992 uraufgeführten Bühnenerstling die Handlung langsam, mit statischer Lakonie. Von Vereinsamung und Heimatlosigkeit erzählt sie, von Entwurzelung. Teufik, der algerische Boy, kann das lose Treiben moralisch nicht akzeptieren. Sophie hingegen lebt ihr Leben perspektivlos, wie es gerade so kommt. Die Schranken zwischen ihnen sind nicht aufzuheben, die Geschichte hört auf, bevor sie richtig angefangen hat – bei Dienstschluß.

Die junge Regisseurin Annette Steiert konzentriert sich bei ihrer Inszenierung fast völlig auf die langsame Entwicklung dieser Begegnung. Dem sonstigen Hotelpersonal, obwohl fast immer auf der Bühne, gönnt sie kaum Aktionen. Bloß die Putzfrau (Christina Beutler) darf mit Staubsauger und Wischtuch das Geschehen kommentieren. Um aus dem klaustrophobischen Kammerspiel Spannung herauszukitzeln, haben die Charaktere jedoch allzu wenig Kanten. Tüncay Gayrianals Teufik ist eher ein verschreckter Junge denn ein einsamer Macho, der in seinem klaren Verständnis der Geschlechterrollen eingesperrt ist. In der verstockt schmollenden Sophie (Bettina Ernst) hat er einen arg einseitig konturierten Gegenpart.

Bleibt das Ambiente. Zwar verbringen die Protagonisten die Stunden bis zum Morgengrauen nicht in der wirklichen Hotelhalle, sondern im umfunktionierten Frühstücksraum im ersten Stock. Trotzdem herrscht Herbergsatmospähre. Auf dem Flur hinter der Glastür öffnet und schließt sich der Aufzug. Echte Hotelgäste verschwinden mit unsicheren Seitenblicken in ihren Zimmern. Im Saal regiert das geschichtslose Irgendwo, mit den gedeckten Frühstückstischen als Hintergrundkulisse. Was die allzu ruhige Inszenierung nicht an Atmosphäre hergibt, wird durch den Ort ganz selbstverständlich hinzugefügt. So hat das knapp einstündige Vexierspiel zwischen Theater und Wirklichkeit doch einen ganz eigenen Reiz. Gerd Hartmann

Theater im Hotel: „Sophies Nacht“, 23.–26.3., 20 Uhr im Sorat Hotel Gustavo, Prenzlauer Allee 169, Prenzlauer Berg

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