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SanssouciNachschlag

■ Zum Randalieren schön: Die Staatsoper im Hebbel Theater mit Florian L. Gaßmanns "L'opera seria"

Das Publikum randaliert, die Bühnentechnik spielt verrückt, Tomaten fliegen auf die Bühne und werden von den wütenden Sängern zurückgeworfen. Die Oper ist schon nach der dritten Arie durchgefallen. Trotzdem geht der Spaß weiter – denn „L'opera seria“ ist eine Oper über die Oper.

1769 stießen Florian Leopold Gaßmann, selbst ein erfolgreicher Komponist „ernster“ Opern, und der Librettist Calzabigi die versteinerte Opera seria vom Sockel. Gnadenlos parodieren sie die sprachlichen Klischees der Gattung, die leere Virtuosität der Arien, die langwierigen Rezitative, die Widersprüche zwischen Text und Musik – und zeigen mit dem chaotischen Kleinkrieg zwischen Sängern, Impresario, Komponist und Dichter gleichzeitig einen Triumph der komischen Volksoper, der Opera buffa.

„L'Oranzebe“, eine Art barocker Aida, steht kurz vor der Aufführung. Der Dichter Delirio und der Komponist Sospiro (Seufzer) loben sich gegenseitig über den grünen Klee. Aber kaum verlangt der Impresario Fallito (Pleitemacher) Änderungen, brechen die beiden in wüste Beschimpfungen gegeneinander aus. Die drei Sängerinnen und ihre hexenhaften Mammas kämpfen mit Zähnen und Klauen um den Vorrang, der Tenor Ritornello ist nicht recht bei Stimme, und die Bratschen sind zu laut. Nach der vergeigten Premiere hat Fallito genug: „Dem Gehirn eines Dämons entsprang die Erfindung der Oper zur Geißel der Menschen“, klagt er und brennt mit der Kasse durch.

„L'opera seria“, inszeniert von Jean-Louis Martinoty, ist eine Koproduktion der Staatsoper mit den Schwetzinger Festspielen. Bühnenbildner Hans Schavernoch hat als Probenraum eine realistische barocke Rumpelkammer gebaut, die Opernaufführung dagegen mit kunstvoll unglaubwürdigen Pappkulissen vollgestellt. Die jungen Musiker des Concerto Köln unter Leitung von René Jacobs, die der gefährlich luziden Partitur voll gewachsen sind, freuen sich sichtlich an den virtuosen Übertreibungen und hochdramatischen Tremoli. Auch die Seria-Sänger – Laura Aikin, Janet Williams, Dorothea Röschmann und Jeffrey Francis – führen mit parodistischer Wonne schwierige Triller und Koloraturen vor und unterstreichen sie mit hemmungslos übertriebener Gestik.

Die Spielfreude aller Darsteller hat eine Fülle von kleinen zusätzlichen Gags inspiriert. Wenn am Ende der Oper plötzlich Bauarbeiter mit dem Preßlufthammer die Bühne entern, ist das allerdings ein bißchen zuviel des Klamauks. Aber in diesem Moment ist das Publikum ohnehin nur noch mit Schreien, Trampeln und Randalieren beschäftigt – vor Begeisterung. Miriam Hoffmeyer

„L'opera seria“, Koproduktion der Staatsoper Unter den Linden und der Schwetzinger Festspiele, in italienischer Sprache mit deutscher Übertitelung. Weitere Aufführungen am 3., 7., 10.2., 19 Uhr, Hebbel Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg, Vorbestellungen unter Telefon 2510144

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