Nachruf auf George Michael: „I’m never gonna dance again“
George Michael, einer der letzten Superstars, steht für Beat-Wunder mit Ewigkeitscharakter, die nicht nur Teens mitreißen.
Beim „Carpool Karaoke“, einem Segment der CBS-Talkshow „The Late Late Show with James Corden“, fährt der feiste britische Komiker gemeinsam mit einem Popstar im verbeulten Kombi durch Los Angeles. Man redet, man veräppelt sich, irgendwann stellt Corden das Radio an. Dort läuft ein Megahit des prominenten Mitfahrers, den beide lauthals mitsingen.
Der erste aus der beliebten Sketchreihe wurde im Jahr 2011 produziert: Corden, im üblichen Jogginganzug hinter dem Lenker, bekommt einen Anruf von der Wohltätigkeitsorganisation „Comic Relief“, die mithilfe von Prominenten Geld für Notleidende sammelt. Man bittet ihn um einen kurzen Besuch. „Oookeee“, sagt Corden, „obwohl ich eigentlich gerade mit ’nem Kumpel herumfahre …“ Jener Kumpel, ebenfalls in Jogginganzug, aber mit topmodischer Sonnenbrille, ist George Michael. „Darf ich mitkommen?“, bittet Michael Corden. Und als dieser verneint, beschwert der Star sich schnippisch: „Schon klar, du willst nicht mit einem schwulen Mann gesehen werden!“ „Nein“, wehrt Corden ab, „daran liegt es nicht. Aber ich kann dich nicht mitnehmen – du bist ein Witz! Comic Relief sammelt Geld für Leute wie dich!“
Da war George Michael, der am Sonntag im Alter von nur 53 Jahren in seinem Haus in Oxfordshire unerwartet einem Herzleiden erlag, längst im Reinen mit seiner sexuellen Ausrichtung – so sehr, dass er sie sogar zur Seite packen und stattdessen tiefenentspannt über seine wechselnden Erfolge spötteln konnte. Dabei hat Michael selten Witze über seine Musik gemacht: In einem Interview erklärte er 2004, dass er zwar nichts dagegen habe, ein Popstar zu sein. „Aber die Leute dachten immer, ich wolle als ernst zu nehmender Musiker anerkannt werden. Dabei wollte ich nur klarstellen, dass ich meine Musik absolut ernst nehme!“
Mit Föhnwelle und Hotpants
Diese „seriöse“ Qualität hatten seine Songs tatsächlich von Anfang an – auch wenn Michael, der 1963 im Londoner Stadtteil Finchley als Sohn eines griechisch-zyprischen Restaurantbesitzers und einer britischen Tänzerin geboren wurde, mit „Wham!“ zunächst vor allem Feel-Good-Hits produzierte. Und es dabei als keck hüpfende Föhnwelle in Hotpants oder weißem Katharine-Hamnett-„Choose-Life“-T-Shirt gemeinsam mit dem alten Schulfreund Andrew Ridgley in die Herzen der gesammelten weiblichen Teenagerschaft schaffte.
Doch schon Wham!s erster Hit, „Wake Me Up, Before You Go-Go“ von 1984, ein in Groove und Struktur an Motown orientierter Dancefloorkracher, war kein flacher Radiohit, sondern ein schlau ausgedachtes und liebevoll produziertes Upbeat-Wunder für die Ewigkeit. Bei aller oberflächlichen Poptauglichkeit und Netzhemdästhetik merkte man Wham! die Wurzeln im British Soul stets an.
„Careless Whisper“, der zweite Überhit der beiden Briten, hatte neben dem in den 1980ern unvermeidlichen klebrigen Saxofonriff und den fast schon schmerzhaft kitschigen Lyrics – „I’m never gonna dance again / guilty feet have got no rhythm“ – auch noch eine wunderbare Melodie und eine perfekte Soulballaden-Dramaturgie zu bieten. Und die schmelzende Evergreen-Qualität von „Last Christmas“ bewährt sich bis heute – besonders traurig, durch welche Gefühle es seit vorgestern konnotiert wird.
Als Solokünstler überzeugte Michael nach der Auflösung von Wham! weiterhin die Welt, angefangen mit „Faith“, seinem ersten Soloalbum von 1987, das sich 20 Millionen Mal verkaufte – mit einem Titelsong, der noch stärker als zuvor Michaels Retro-Verbundenheit ausdrückte. Und vor allem durch die Instrumentierung mit Framus- und Gretsch-Gitarre, Michaels Hüftschwung und die Wurlitzer-Jukebox ließ auch im Video ganz genau erkennen, wo der Sonnenbrillen-Popper abspickte: Elvis the pelvis hätte es nicht viel anders gemacht. Außer vielleicht die Konzentration der Kamera auf Michaels wackelnden Behind in den klassisch knapp sitzenden 501s. Das hätte dem King eventuell doch zu sehr nach Queen ausgesehen.
Im Video zu „Outside“ küssen sich am Ende alle
Es dauerte noch über zehn Jahre und vier weitere Platten, bis Michael sein persönlichstes Thema, die sexuelle Orientierung, auch offiziell klärte – kaum nachvollziehbar bei einer Popfigur, die bereits in ihrem ersten Hit, „Wake Me Up“, ausgerechnet die Schwulenikone Doris Day erwähnt und 1989 bei der Verleihung der MTV Video Awards von Madonna als „the Diva himself“ angekündigt wird.
Doch die 1980er, die in der Popwelt zwar ästhetisch durchaus die Gendergrenzen überschritten, reagierten hinter den offenen Geheimnissen eines Boy George, Holly Johnson oder Marc Almond immer noch schwer homophob – jedenfalls wenn man die Massen becircen wollte, die zum großen Teil aus schreienden Mädchen bestanden. Zudem kann man nur erahnen, was die griechischen Wurzeln in Michael, der in den ersten Jahren selten ohne seinen baumelnden Kreuz-Ohrring zu sehen war, bewirkten – dass ein Coming-Out zu Lebzeiten seiner Mutter für ihn undenkbar gewesen sei, sagte er jedenfalls in einem Interview 2007.
Sie war 1997 gestorben. Und 1998 wurde ihr Sohn wegen „unzüchtiger Handlungen“ auf einer öffentlichen Toilette in Beverly Hills medienwirksam festgenommen – ein Vorfall, der das fatale Verhältnis der USA zur Homosexualität illustriert: Michael war während dieser „unzüchtigen Handlungen“ allein im dafür bekannten Will Rogers Park und hatte den Undercover-Offizier für einen Gleichgesinnten gehalten.
Michaels Homosexualität – später sprach er davon, früh bisexuell gewesen zu sein, sich aber nie in Frauen verliebt zu haben – war damit raus, und der Brite ging fortan offensiv damit um. Im der Verhaftung folgenden Video zu „Outside“, der ersten Singleauskopplung einer 1999 erschienenen Best-of-Albums, ließ er jede Menge Pärchen gleichen und unterschiedlichen Geschlechts vor, auf und neben öffentlichen Toilettenhäuschen herumscharwenzeln, festgehalten in Überwachungskamera-Ästhetik. Im Laufe des Songs setzen Polizisten dem Treiben jedoch ein Ende – aber, angeregt durch Michaels Tanznummer im Polizeikostüm, auch sie lassen sich zum Schluss hinreißen und beginnen, sich leidenschaftlich zu küssen – viel weiter konnte man im Mainstream der späten 90er nicht gehen. Und eine klare Haltung für Michael – wenn auch die Symbolik im Video nicht mit den viel eindeutigeren und politischeren Aussagen zu vergleichen ist, die andere selbstbewusst queere KünstlerInnen später trafen.
Geehrt, gefeiert, verlacht, verhaftet
„Ich will mit Mut und ganzem Herzen auftreten“, hatte Michael einmal gesagt und es ab 1998 dann tatsächlich auch im Einklang mit seiner Persönlichkeit getan. Michael produzierte Erfolge als Solokünstler und mit Duetten – unter anderem mit Aretha Franklin, Whitney Houston und Paul McCartney – und Misserfolge. Er gewann Preise wie den BRIT Award oder den MTV Europe Music Award – und durfte diese neben die „Goldene Himbeere“ für den angeblich „Schlechtesten Song“ 1987, „I Want Your Sex“, stellen. Immer wieder wurde er wegen Drogenbesitz verhaftet, meist Cannabis, seltener Crack. Michael protestierte gegen den US-Einmarsch im Irak, ging mit einer symphonischen Version seiner Hits auf Tour und brachte – neben dem Klassik-Album und einer Best-of-Sammlung vor über zehn Jahren seine letzte offizielle Studioplatte „Patience“ heraus.
Darauf findet sich die schwülstige Ballade „John & Elvis are dead“, in der Michael von einem Freund erzählt, der aus einem Koma aufwachte. „Youth, beautiful youth“, sinniert Michael da, „we walked through the walls until we found the truth“. Und später zitiert er den Freund mit den Worten: „If Jesus Christ is alive and well, how come John & Elvis are dead?“ Die Guten trifft es eben immer zuerst. Vor allem 2016.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag