■ Die Tage vor der deutschen Einheit - Samstag und Sonntag auf der Straße: Nachmittags „vorbeugende“ Festnahmen, nachts Randale
Obwohl viel Polizei am Sonntagnachmittag durch die City streifte, entgingen ihr die sechs „JungdemokratInnen/Junge Linke“, die vor dem Ratskeller demonstrierten. Eine dreiviertel Stunde lang hielten sie ein Transparent hoch (“Deutschland ist uns scheißegal – Vernunft statt Nation“), neben sich einen riesigen Pappmaché-Scheißhaufen.
Tatsächlich übel roch es am Sonntagnachmittag im Informationszelt der Bundesregierung auf dem Liebfrauenkirchhof: Unbekannte hatten zwei mit stinkender Flüssigkeit gefüllte Glasbirnen ins Zelt geworfen.
Zurückhaltend verhielt sich die Polizei am späten Sonntagnachmittag bei einer Demonstration vor der Lürssen-Werft. Dort bildeten knapp 20 Menschen einen „Leichenteppich“ und überreichten den BesucherInnen des Konzerts zum Tag der Deutschen Einheit sogenannte „Blutcocktails“ – die Werft produziert Kriegsschiffe.
Mit massivem Polizeiaufgebot und Verhaftungen ging Innensenator van Nispen allerdings gegen Autonome vor, die sich am frühen Sonntagabend im Viertel aufhielten. Die Polizei trieb ohne jede Aufforderung, sich zu zerstreuen, rund 80 Mitglieder des „Bündnisses gegen den 3. Oktober“ in der schmalen Schildstraße zusammen und riegelte die Straße für etwa eine halbe Stunde ab.
Die jungen Leute hatten sich, so eine Beteiligte, im Lagerhaus getroffen und waren anschließend vor dem Haus in Grüppchen beeinander gestanden – ohne Flugblätter, ohne Transparente. Schließlich ließ sie ein Anwohner in sein Haus. Über einen Nachbarhof flüchteten sie.
Währenddessen stürmten SEK-BeamtInnen das Sielwallhaus. Sie beschlagnahmten Aktenordner, Computer, Kopierer, Faxgerät und sämtliche Telefone, berichtet ein Zeuge. Die Polizei selbst teilt mit, sie habe eine Funkanlage mit Scanner, eine Liste mit Kennzeichen von Polizeifahrzeugen und Schriftgut, das als unterstützendes Material für die verbotene Demonstration am 3.10. zu werten sei, mitgenommen. Siebzig Personen wurden festgenommen und erkennungsdienstlich verhandelt. Der gesamte Sielwall blieb anderthalb Stunden lang abgeriegelt. Zur Aufmunterung bedröhnten Anwohner das Sielwalleck mit der Musik der „Ton Steine Scherben“. 66 der 70 Festgenommenen wurden im Lauf der Nacht wieder freigelassen.
Gegen die Beschlagnahmung protestierten unterdessen das „Bündnis gegen den 3. Oktober“ und die „JungdemokratInnen/Junge Linke“: „Wer Kopierer, Computer, Faxgeräte und Telefone stiehlt, kann das kaum mit der angeblichen Gewaltbereitschaft der DemonstrantInnen begründen. Oder will van Nispen irgendwem weismachen, die Autonomen hätten nach der Polizei mit ihrem Faxgerät geschmissen?“
Schon am Samstag hatte die Polizei die Räume des „Bremer Bündnis gegen den 3. Oktober“ durchsucht und Unterlagen und Kommunkiationsmittel für eine geplante Demonstration sowie eine Lautsprecheranlage und Reiztoffsprühgeräte beschlagnahmt, teilt die Polizei mit.
In der Nacht zum Montag kam es dann ab Mitternacht zu einem fast dreistündigen Katz-und-Maus-Spiel zwischen der Polizei und etwa 200 Menschen. Laut Augenzeugenberichten versammelten sich ab Mitternacht Autonome auf der Sielwallkreuzung. In einer undurchsichtigen Strategie räumte die Polizei hin und wieder die Kreuzung, sperrte mal die eine, mal die andere Zufahrt ab. Währenddessen kam es laut Polizei zu zahlreichen Sachbeschädigungen: Scheiben wurden eingeschlagen zum Beispiel bei Comet, Penny und der Sparkasse. Mehrere Autos brannten. cis
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