: Nachhilfeunterricht vom Ex–Kanzler
■ Der frühere Bundeskanzler Schmidt, einst Schmidt–Schnauze, verabschiedete sich von der parlamentarischen Bühne / Der erhobene Zeigefinger ist bis zum Schluß geblieben
Aus Bonn Tina Stadlmayer
„Der Finanzminister hat das undankbarste Amt in der Bundesregierung, daß weiß ich aus eigener, leidvoller Erfahrung. Ich habe große Sympathie für Herrn Stoltenberg, trotz seiner erzkonservativen Finanzpolitik.“ Mit diesen Worten leitete Ex–Bundeskanzler Helmut Schmidt seine „Abschiedsrede“ vor dem Deutschen Bundestag ein. „Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Zinsen und eine niedrige Investitionsquote“ hielt er der Bundesregierung vor, und wenn Ölpreise und Dollarkurs nicht so günstig wären (was kein Verdienst der Regierung sei), dann sähe es noch düsterer aus. Während Helmut Schmidt immer wieder mit erhobenem Zeigefinger den Bundeskanzler direkt ansprach, blickte dieser betreten zu Boden, nestelte an seiner Krawatte und zerknüllte Papierkügelchen in der Hand. An anderen Stellen wiederum konnte der Bundeskanzler herzlich lachen: Zum Beispiel, wenn Schmidt vom „ Gewichtsverlust der Bundesrepublik in der westlichen Gesamtpolitik sprach. Schmidt erklärte, die Bundesrepublik müsse Freund und Partner der Vereinigten Staaten sein, aber nicht deren Klient. Helmut Schmidt ließ es sich natürlich nicht nehmen, alle seine „persönlichen Freunde“ im Ausland aufzuzählen ( Kreisky, Pertini und die ermordeten Palme und Sadat) und die Errungenschaften seiner Regierung zu preisen: „Ich habe häufig mit Erich Honecker telefoniert und hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie ebenfalls das Telefon nutzen.“ Den jungen Menschen fehle die Geborgenheit, die ein Nationalstaat mit seiner Identifikationsmöglichkeit biete und das führe zu gesteigerter Unruhe, erklärte Schmidt. Damit war er bei der Innenpolitik und dem Demonstrationsrecht gelandet: Von Wurfgeschossen über Molotow–Cocktails zu Autobomben sei kein ganz weiter Weg. Dies falle jedoch alles in den Bereich strafbarer Handlungen, am Grundrecht der Demonstrationsfreiheit dürfe deshalb nicht gerüttelt werden. An dieser Stelle gelang dem ehemaligen Bundeskanzler der Bogen zum Terrorismus und die Erinnerung an Mogadischu durfte nicht ausbleiben. Es sei relativ leicht, in normalen Zeiten zu regieren, die Qualität einer Regierung zeige sich jedoch erst in unvorhergesehenen Notsituationen. In eben einer solchen Situation (Tschernobyl) habe die Regierung Kohl versagt, weil sie das Krisenmanagement nicht beherrsche. (An dieser Stelle lachte der ansonsten düster dreinblickende Kanzler kurz auf.) Zum Thema Sozialpolitik erklärte Schmidt, Johannes Rau werde als Bundeskanzler die soziale Gerechtigkeit wiederherstellen. Auf Zwischenrufe von CDU–Abgeordneten, warum Rau nicht bei der Haushaltsdebatte erscheine, rief er: „Sie können doch nicht erwarten, daß einer aus Düsseldorf anreist, um Herrn Dregger zu hören.“ Um sich gleich darauf zu entschuldigen: „Wenn das zu scharf gewesen sein sollte bitte ich mir das nachzusehen.“ Am Schluß seiner Rede fiel Schmidt in die Stimmlage eines Geschichtenerzählers und errinnerte an die schweren Jahren nach dem Krieg und die Gemeinsamkeit aller, die die Demokratie mitaufgebaut hätten: „Ein Mehrparteien–Parlament verlangt grundsätzlich Koalitionsfähigkeit nach allen Seiten!“ Auch Bundeskanzler Kohl würdigte die Rede Schmidts und dessen „Lebensleistung im Dienste dieser Republik“. In vielen Punkten stehe der ehemalige Bundeskanzler der jetzigen Regierungskoalition näher als seiner eigenen Partei. Am Ende seiner Amtszeit habe Schmidt die Bundesrepublik in einer tiefen Krise zurückgelassen, diese „Erblast“ habe er erst beseitigen müssen.
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