: Nachhilfe für grüne Männer
■ Grüne diskutieren Verfahren zum Umgang mit sexueller Belästigung. Dittmer soll Vorstandsamt ruhen lassen, Albani läßt vorübergehend Amt aus Protest ruhen
Der Parteivorstand der Bündnisgrünen soll Matthias Dittmer auffordern, sein Amt in dem siebenköpfigen Führungsgremium der Partei ruhen zu lassen. Dies beschlossen am Mittwoch abend die Delegierten des Landesausschusses mit äußerst knapper Mehrheit. Den 16 Jastimmen standen 15 Neinstimmen gegenüber, acht Delegierte enthielten sich. Dittmer soll sein Amt ruhen lassen, bis das Verfahren um Vorwürfe sexueller Belästigung abgeschlossen ist.
Dittmer hatte Anfang Dezember gegen eine frühere Praktikantin und die Frauenreferentin der Partei eine einstweilige Verfügung erwirkt. Danach dürfen sie nicht mehr behaupten, er habe Frauen sexuell belästigt.
Beide Frauen sowie Dittmer sind bereit zu einer außergerichtlichen Klärung. Dittmer hat inzwischen allerdings auch der bündnisgrünen Abgeordneten Ingrid Lottenburger eine gleichlautende Unterlassungserklärung angedroht.
Ob Dittmer bereit ist, sein Amt ruhen zu lassen, war gestern nicht in Erfahrung zu bringen, da er sich im Urlaub befindet. Nach der Abstimmung im Landesausschuß erklärte Vorstandsmitglied Bernd Albani überraschend, er werde sein Amt bis zur nächsten Vorstandssitzung am 6. Januar ruhen lassen und möglicherweise niederlegen. Albani begründete seinen Schritt gestern damit, daß er das bisherige Verfahren zur Aufklärung der Vorwürfe sexueller Belästigung gegen zwei Parteifunktionäre für nicht akzeptabel halte. Der „inquisitorische Stil“ mancher Frauen habe ihn an frühere SED- Parteiverfahren erinnert. Bei allem Respekt für die Frauen, die die Vorwürfe erhoben haben, dürfe der Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht aufgegeben werden, so Albani.
Albani kritisierte auch „ein Defizit an Streitkultur“. Bei der Debatte im Landesausschuß, der über ein künftiges Verfahren zum Umgang mit sexueller Belästigung beriet, seien „Männer unmöglich gemacht worden, sobald sie Argumente vorgebracht hätten, die nicht in die Raster engagierter Frauen gepaßt haten“.
Die Fragen und Bemerkungen einiger Männer ließen allerdings darauf schließen, daß zwei Jahrzehnte frauenpolitischer Diskussionen spurlos an ihnen vorüber gegangen sind. „Ist es überhaupt sinnvoll, ein Verfahren einzuführen, wenn die Zahl sexuell belästigter Frauen gesamtgesellschaftlich eher zurückgeht?“ wollte einer wissen und mußte sich sagen lassen, daß er völlig falsch informiert sei. Ein anderer polemisierte: „Muß ich jetzt erst einen Antrag stellen, bevor ich mit einer Frau flirten darf?“ Solche Bemerkungen sorgten für Empörung, aber auch Gelächter in den Reihen frauenpolitisch engagierter Frauen. Die Abgeordnete Barbara Oesterheld stellte fest: „Wir haben das Landesgleichstellungsgesetz durchgesetzt, und die Männer haben es nie gelesen.“
Das Gesetz enthält auch eine Passage darüber, was als sexuelle Belästigung zu bewerten ist. Darunter fallen u. a. „unnötige körperliche Berührungen“ sowie „unerwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts“. Die ÖTV-Fachfrau Barbara Klemm erläuterte, daß auch Verhalten, dem keine Belästigungsabsicht zugrunde liegt, als sexuelle Belästigung erlebt und bewertet werden kann. Ein Konsens darüber, was als sexuelle Belästigung zu bewerten sei, war in der Debatte nicht auszumachen.
Allgemein wurde die Erwartung geäußert, mit einem akzeptierten Parteiverfahren könne „politischer Mißbrauch“ verhindert werden. In Zukunft soll eine fachlich kompetente Beschwerdekommission eine getrennte Anhörung von Opfer und Beschuldigten durchführen und die Anonymität beider wahren. Details soll eine fünfköpfige Arbeitsgruppe bis Ende Januar ausarbeiten.
Eine von Kreuzberger Frauen ins Leben gerufene „Arbeitsgruppe sexuelle Belästigung“ will außerdem eine Umfrage unter bündnisgrünen Frauen über sexuelle Belästigungen durchführen. Dorothee Winden
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