: Nach der Zäsur
■ Ein mattes Symposium zu neuen Texten nach der Wende im Literaturhaus
Drei Männer jenseits der sechzig saßen im Warburg-Haus auf dem Podium und erzählten sich – und dem Publikum – eine Geschichte. Uwe Herms beschrieb die Fleischlust eines Schlachters in ländlicher Idylle (Wenn der Schlachter einmal Zeit hat). Der „Künstler des Messers“ taxiert seine Kühe, ertastet erfahren und geschickt die Fleischreifung. In der Vorfreude auf das wohlgeratene Schlachtvieh bekommt der Mann Appetit. Er brät ein Rumpsteak, zerkaut es „und fängt an, sich als das Fleisch zu fühlen, das sich selbst verzehrt.“
Hermann Peter Piwitts „üble Geschichte“ hieß Ein untröstlich sanftes Ende. Darin erfindet, ja inszeniert eine Frau den Mißbrauch ihres Kindes, gemeinsam mit anderen jungen Müttern entlarvt sie vermeintliche „Täternetzwerke“. Das Porträt einer gutsituierten Mutter im geschmackvoll gestalteten Eigenheim macht die Enge, die unberechenbare Berechenbarkeit dieser Spießerwelt spürbar.
Gedächtnis – Gerd Fuchs wählte Griechenland als Schauplatz einer Suche nach den Wurzeln der Erinnerung. Bei dem Teilnehmer einer Griechenlandrundreise setzen die antiken Mauerreste eine Reflexion über die Wirkungsweise des kollektiven wie individuellen Gedächtnisses in Gang: Was kann der Einzelne bewußt wissen, was läßt seine Erinnerung zu – und was verbirgt sie unter der „schützenden Decke des Vergessens“?
Die in Hamburg lebenden Schriftsteller Gerd Fuchs, Hermann Peter Piwitt und Uwe Herms lasen „unvollendete Geschichten“ angesichts „einer unvollendeten Geschichte“. Ihre Texte beschlossen das Symposium über Schreibstrategien nach der Wende. Wie zeigt sich der Erfahrungsbruch der epochalen Zäsur von 1989 in der deutschen Gegenwartsliteratur, und was wäre noch zu vollenden – in den Köpfen, in den Büchern und in der Wirklichkeit? Wer nun glaubte, von all dem würde zu hören und zu reden sein, wurde enttäuscht. Die Mattigkeit der Zuhörer ließ Fragen gar nicht erst aufkommen. Wohl auch, weil sie spürten: Die vorgetragenen Texte loteten die Möglichkeiten realistischen Erzählens aus. Sie hätten der Wende nicht bedurft, wie die veritablen Linken Fuchs, Herms und Piwitt.
Frauke Hamann
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