: „Nach dem taz-Lesen ist mein Hirn völlig anders“
Genossen und Genossinnen beim „Kongreß taz“ zeigten sich freundlich und seriös, Publizisten auf dem Podium hart, aber nachsichtig, und LeserInnen von der taz-Redaktion beeindruckt/ Viel wird über ökonomische Grundlagen geredet ■ Aus Berlin Bascha Mika
Wer das Angenehme mit dem Wirtschaftlichen verbinden will, lädt sich GenossInnen ein. Aus Uhldingen und Tuttlingen, aus Lüchow und Schwedt, aus Mudersbach und Buxtehude. Die taz hat sich in die Hand ihrer LeserInnen begeben; als einzige Zeitung dieser Republik wird sie von einer Genossenschaft verlegt. Mehr als zweieinhalbtausend Menschen haben Anteile gezeichnet. Mehr als 300 von ihnen reisten am Samstag nach Berlin, wo der Kongress taz-te.
Ein bißchen schummrig ist es ja im Kuppelbau am Alexanderplatz. Da hat wohl niemand den Hausmeister oder der keinen Lichtschalter gefunden. Ansonsten hätte die erste Generalversammlung der taz-Genossenschaft auch eine bei Raiffeisen sein können. Nichts von chaotischer Selbstinszenierung des Kollektivs. Ruhig geht es zu, seriös — und natürlich ums Geld, wie bei allen wichtigen Unternehmen. Und wie bei denen, sind es die gesetzten Herren mittleren Alters, die den Ton angeben. Wie hoch ist das Risiko bei einer Einlage in die taz, wollen sie wissen. Wie steht es um die Marktchancen? Was passiert, wenn der Pleitegeier doch irgendwann seine Krallen in die kleinste überregionale Zeitung schlägt?
Legitime Fragen, auf die der Gründungsaufsichtsrat und die Geschäftsführung des taz-Verlages Rede und Antwort stehen müssen. „Zwischendurch hab' ich richtig ein bißchen Angst um mein Geld bekommen“, erzählt ein Genosse aus Berlin-Kreuzberg. „und ich hab' nochmal ernsthaft angefangen zu überlegen, warum ich die taz unterstütze.“ Doch nicht die Argumente der Gründungsmitglieder hätten ihn letztlich überzeugt; auch nicht die Kontrollmechanismen, die ein Vertreter des „Revisionsverbandes der Konsumgenossenschaften“ vorstellte. „Ich habe gemerkt“, sagt der angehende Jurist, „daß mein Engagement — Wirtschaftlichkeit hin oder her — letztlich eine Herzensangelegenheit ist.“
Eine Herzensangelegenheit ist der Versammlung offenbar auch die Wahl des Aufsichtsrats der Genossenschaft. Denn erst nach dem dritten Wahlgang ist das Triumvirat komplett. „Das ist ja fast so schlimm wie bei den italienischen Präsidentschaftswahlen“, stöhnt einer der fünf Kandidaten. Eine Kandidatin gibt es erst gar nicht: Trotz eifriger Bemühungen im Vorfeld glänzt das große I durch Absenz. Das muß selbst den Herren auffallen. „Es gibt wieder nur Genossen und Aufsichtsräte“, moniert einer im Saal, „sogar in der Genossenschaftssatzung.“
Bernd Blöhbaum, Dozent für Journalistik, wundert sich über etwas anderes. „Ich find' es komisch“, meint der Dortmunder, „daß soviel über die ökonomischen Grundlagen geredet wird und sowenig über die Inhalte der Zeitung.“ Er will die taz als journalistisches Projekt unterstützen, denn „in der medienpolitischen Landschaft ist sie einmalig und unverzichtbar.“
Doch selbst wenn die GenossInnen die Inhalte den tazlerInnen überlassen — wo und wie aus deren Ideen eine Zeitung wird, interessiert sie schon sehr. Neugierig lassen sich ganze Gruppen in der Mittagspause durch die Redaktions- und Technikräume der Kochstraße führen. Da werden Bildschirme ausprobiert, Seitenpläne begutachtet, die EDV bestaunt. „Schließlich sieht man all das mit anderen Augen, wenn man erst mal Miteigentümerin ist“, bemerkt eine Lehrerin aus Kassel und freut sich, daß sie auch die Kochkünste der taz-Kantine genießen darf.
Die taz per Zwangsabo über die DDR streuen?
Und dann geht es doch noch um publizistische Inhalte. Ein Podium diskutiert: „Druckfehler im neuen Deutschland. Zeitungskultur in Ost und West“. „Die Presse hat beim Umbruch in Deutschland total versagt“, formuliert der Publizist Claus Koch. Provokante Thesen, die er einen Tag zuvor bereits in der taz veröffentlicht hatte. Der Osten der Republik sei für West-Journalisten uninteressant, die Ost-Presse nicht nur siech, sonders bereits halbtot.
Von der Ost-Journalistin in der Runde kann man das allerdings kaum behaupten. Vehement verteidigt Regine Sylvester die lebendige Zusammenarbeit von Ost- und West-KollegInnen. Und noch weniger paßt ihr die Behauptung, der Osten sei „unterkomplex“, was im Westen „Langeweile oder Befremden“ erzeuge. „Wir sind nicht hinterm Mond“, entgegnet sie dem zierlichen, weißhaarigen Mann, der still lächelnd den Aufruhr registriert. „Ich bin es leid“, schimpft sie weiter, „als ungeliebter Untermieter behandelt zu werden. Wie einer, der Filzläuse hat. Und ich hab' ebensowenig Lust, ständig zu sagen: Ich hab' doch gar keine.“
Nicht über kleine Krabbeltiere geht die Diskussion weiter, sondern über die Aufgaben der Presse in einer streitbaren Demokratie, über Authentizität und die Unfähigkeit der Journalisten zum Einfachsten und doch so Schwierigen: hingehen, genau hinsehen, beschreiben. Bei diesem Prozeß und bei der demokratischen Kontrolle der politischen Führung habe die Presse tatsächlich versagt, räumt taz-Chefredakteur Michael Sontheimer ein.
Kräftig unterstützt wird er vom Korrespondenten des 'Züricher Tagesanzeigers‘. „Wie die Medien im Osten plattgemacht wurden, war für mich ein großer Schock“, berichtet der Schweizer. Bis heute sei die Dimension des Umbruchs in Osteuropa im Westen nicht begriffen worden, „auch nicht die Sprengkraft dieses Transformationsprozesses“.
Dem Publizisten Klaus Bölling sind Kochs Thesen entschieden zu hart und undifferenziert. Mit Brandtschem Gestus wehrt sich der ehemalige Regierungssprecher gegen ein idealtypisches Bild der Medien, gegen Pauschalverurteilungen der Kämpfer mit der Feder und schwärzesten Kulturpessimismus. Ja, die vierte Gewalt sei noch immer partiell betäubt, die Realität schneller als jede Druckerpresse. „Doch jedes Volk hat die Presse, die es verdient“, meint er dann — eher bedauernd als süffisant.
Über jede Zeitung finde die Abstimmung letztendlich am Kiosk statt. Und es sage auch etwas über den Zustand der DDR, wenn sich dort eine Zeitung wie 'Super‘ mit 400.000 Exemplaren absetzen lasse. „Schließlich kann man die taz nicht per Zwangsabo über die DDR streuen.“
Aber das bewahrt die Ostler vielleicht vor bleibenden Schäden. Wie bemerkte doch ein junger Genossenschafter in seinem Beitrag zum Thema „Der Leser, das unbekannte Wesen“: „Immer nach dem taz-Lesen ist mein Hirn so völlig anders.“
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