PRESS-SCHLAG: Nach dem Aderlaß
■ Ost-westliche Handballsaison mit Gefälle
In Ost und West begannen vorige Woche die Landesmeisterschaften im Hallenhandball, die an ihrem Ende nur noch Landmeisterschaften sein werden. Nur die DDR- Männer werden erst an diesem Wochenende angepfiffen. Es ist aber das Gerücht zurückzuweisen, daß sie wegen der zahlreichen Spielerverluste ihre Aufgebote noch nicht beisammen hätten.
Die Spiele der vier höchsten Ligen werden zeigen, daß sich das ehemalige Ost-West-Gefälle im deutschen Handball längst ins Gegenteil verkehrt hat. In kaum einer Sportart wurde der Schlußverkauf der DDR-Vereine so gründlich und gräßlich betrieben wie hier. Das ist die DDR-Sicht. Im Westen dagegen wurde schon gelobt und geklatscht, bevor auch nur ein Ball im Tornetz zappelte.
„Deutschlands Frauenhandball schwelgt in neuen Superlativen“, schreibt die 'Handball-Woche‘. Gemeint sind freilich die bundesdeutschen Teams, die neben 23 osteuropäischen Spielerinnen nun mehr als vier komplette DDR-Besatzungen (sprich: 29 Handballerinnen) aufs Parkett stellen können. Vorbei sind die Zeiten, da sich DDR-Frauen im Europacup freuten, wenn das Los ihnen bundesdeutsche Konkurrenz bescherte. Damit waren immer attraktive Westreisen und der sichere Einzug in die nächste Runde verbunden. Nun spielen allein zwölf Nationalspielerinnen mit Bundespaß in der Bundesliga. Das Verlegenheitsteam des dann schon ostdeutschen Handballverbandes wird bei der Weltmeisterschaft in Südkorea Ende dieses Jahres sicher viel Respekt, aber noch mehr Tore erhalten. Dagegen kann die schon vorvereinigte BRD-Auswahl berechtigt auf einen der vier Olympiaplätze hoffen.
Ähnliches Bild bei den Männern: es verließen acht Aufgebote (also: 56 Spieler) die Vereine der ersten Liga, darunter bis auf den Berliner Hauck der komplette Stammsechser des Nationalteams. Die Spieler waren nicht gerade wählerisch. Wer in der ersten Bundesliga nicht unterkam, verschenkte sich an Vereine der zweithöchsten Spielklasse. Mehr Geld und bessere berufliche Absicherung als in ihren zusammenbrechenden Heimatclubs erwartet sie dort allemal.
Der einzige Club, der seine Spieler weitgehend bei der Stange hielt, ist der 1. SC Berlin. Folgerichtig wurden die Ex-Dynamos im Vorjahr überlegener DDR-Meister. Überhaupt nicht folgerichtig haben sie nun Riesenprobleme, einen Sponsor zu finden. Dabei konnten sie mit Daimler-Benz eigentlich einen dicken Fisch an Land ziehen, bloß haben die Vereinsvorständler wohl nicht das Kleingedruckte gelesen. Zwar dürfen die Handballer den im Sport neuerdings so begehrten Stern auf den Trikots spazierentragen, Geld bekommt der Club aber nicht. Ein recht merkwürdiger Sponsorenvertrag also, der noch dazu den unangenehmen Nebeneffekt hatte, daß das Innenministerium, der bisherige Geldgeber, sich auf der Stelle dankbar zurückzog, als es vom Einstieg Daimlers erfuhr.
Nun sitzt der SC Berlin, der seine sportliche Stärke beim trotzigen Sieg im „Deutschland-Cup“ gegen Meisterkollegen TV Großwallstadt unter Beweis stellte, auf dem Trockenen. Sollte er die nächsten Wochen jedoch überleben, will der 1. SC von der nächsten Saison an als alleiniger Bundesligaverein Berlins im Geschäft bleiben.
Aus diesem längst ausgeschieden scheint der Armeesportklub (ASK) Vorwärts Frankfurt. Die Handballsektion der Oderstadt hatte das Zeug zur Metropole des europäischen Vereinshandballs. 1989 standen die Männer mit einer jungen, begabten Truppe im Europacup-Finale, ein Jahr später fegten die Frauen Seriensieger Spartak Kiew vom Parkett und holten den Europapokal. Doch dann packten die Armeesportler in Scharen ihrer Sachen, zehn Männer und fünf Frauen spielen nun im Westen. Der ASK tritt mit einer Mischung aus reaktivierten Altstars und unerfahrenen Junioren die neuen Sasion an. Aber Frankfurt liegt ja auch am östlichen Rand des entstehenden Deutschlands. Und wenn das Gefälle im Handball weiter kippt, ist dort wohl der Tiefpunkt zu suchen. Hagen Boßdorf
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