Nach Lewitscharoffs Dresdener Rede: Warum schweigen sie bloß?

Sibylle Lewitscharoff drückt ihre Abscheu vor homosexuellen Familien aus. Das kann sie ruhig machen. Aber: Warum protestiert niemand?

Sibylle Lewitscharoff, die Martin Walser ihrer Zeit. Bild: dpa

Über die Rede dieser Schriftstellerin, die durch den vorjährig an sie verliehenen Büchner-Preis bekannte Sibylle Lewitscharoff, ist Hinlängliches schon gesagt worden: von Dirk Knipphals etwa in der taz unter dem Titel „Eine schreckliche Tirade“, aber er war der Erste aus der Riege der Schreiben- und Beschreibenden im Literaturmilieu, und er ist es bis jetzt geblieben. Das ist das eigentlich Traurige an dieser Causa, das ist der Skandal, den näher sich anzuschauen überhaupt nur lohnt.

Lewitscharoff lehrte uns, dass eine Autorinnenschaft, der „Sprachartistik“ in größter und scheinneutraler Gewogenheit attestiert wird, sich stark auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen muss, um noch halbwegs für satisfaktionsfähig gehalten zu werden.

Bei dieser bekennenden Schwäbin, die auf ihren gesunden Menschenverstand viel hält und insofern auch auf ihre dialektal starke Färbung ihres Sprechens, ist nun laut geworden, was neulich, nur heterosexuell-männlicher und mit der Mentalität des Entnervten, auch aus Mathias Matussek in der Welt herausbrach: Er findet die Geringschätzung Homosexueller in Ordnung, bekennt sich zur „Homophobie“ und mochte damit nur sagen, was offenbar nie gesagt werden durfte.

Die Suhrkamp-Autorin hingegen weidet sich am (Selbst-?)Ekel, der sie befällt, denkt sie an Schwule und Lesben und Kinder und Sex und Samen und derlei Dinge. Hier ist es zu hören.

Wie Zombies

Der deutsche Lesben- und Schwulenverband und die Berliner Akademie der Künste haben schockiert auf Sibylle Lewitscharoffs Äußerungen zur künstlichen Befruchtung reagiert. „Das ist ein fieser Angriff auf alle Familien, die wie viele Regenbogenfamilien auf dem Wege der Insemination Kinder bekommen“, erklärte Verbandssprecherin Renate Rampf am Donnerstag in Berlin.

Als Schriftstellerin wisse Lewitscharoff, was Worte anrichten könnten. „In diesem Wissen spricht sie den Kindern die Würde ab. Das ist nicht dämlich, sondern Hass – eine Sprache, die wir sonst nur von Verwirrten oder Fundamentalisten kennen.“ Lewitscharoff hatte im Reagenzglas gezeugte Kinder als „zweifelhafte Geschöpfe“ bezeichnet.

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, erklärte: „Wir weisen den menschenverachtenden Ton und Gestus der Dresdener Rede von Sibylle Lewitscharoff aufs Schärfste zurück.“ Bei allem Respekt vor der privaten Meinung der Autorin teile er mit dem Schriftsteller Ingo Schulze die Meinung, dass es „ungeheuerlich“ und „in jeder Weise inakzeptabel“ sei, künstlich gezeugte Kinder als „Halbwesen“ zu bezeichnen.

Sie darf natürlich sagen, was sie zu sagen hat. Selbst ein Thilo Sarrazin und seine obskure These von der politischen Korrektheit, die alles – vor allem ihn – unterdrücke, könnte nicht umhin, genau das zu bilanzieren: Sibylle Lewitscharoff hat eine Bühne für ein Sprechen bekommen, das repräsentativer nicht sein könnte.

Was sie aber sagt, muss umstritten sein. Recht eigentlich vertritt Lewitscharoff aus der Position einer christlichen Fundamentalistin eine Weltanschauung, die Kinder nur als Produkt eines Akts der Kopulation sich vorstellen möchte. Die anderen, die etwa aus Samenbanken und Reproduktionsmedizinischem erwachsen sind, kommen ihr halbgar, man könnte sie paraphrasieren und sagen: wie Zombies vor.

Davon abgesehen, dass solche Auffassungen bis 1945 in Deutschland populär waren im Hinblick auf Jüdisches, ja, dass überhaupt die Zuweisung der Lewitscharoff auf das, was sie für gesund und seelisch stabil hält, an die übelsten antijüdischen Anwürfe erinnert, bleibt doch, dass sie keineswegs umdenken soll: Hat man ihre Romane, hat man ihr jemals bei Radiointerviews oder bei Podien zugehört, durfte gewusst werden, dass sie nicht zur Schar der Verständigen, der Gutmenschen, der Allesinkludierenden gehört.

Frau Lewitscharoff ist keine Opferversteherin, wahrlich nicht. Sie operierte stets vom Plateau des hausfrauisch-angemessenen Pfarrhausverstandes: Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen, gell? Verblüffend ist hier nur, dass noch nie jemandem aufgefallen ist, dass hinter dieser Sprachartistin natürlich auch eine pietistisch-fundamentalische Tochter im Geiste ... Ja, in wessen Ungeiste eigentlich?

Auf Jesus Christus kann sie sich nicht berufen – das Liebesgebot verböte das: Lewitscharoff mag sich auf klassisch-deutsche Christentugenden berufen – in Wahrheit ist sie eine Blasphemikerin im Pelz baden-württembergischer Anständigkeit.

Wie einst Martin Walser

Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, hat das Seinige in bewegenden Zeilen zu dieser Rede formuliert: Spektakulär genug, dass da ein Miteinladender den bürgerlichen Comment in im Wortsinn betroffener Sprache kenntlich und öffentlich macht. Um an dieser Stelle zum Skandalon zu kommen: Weshalb ist dieser Robert Koall der einzige Kulturfunktionsträger geblieben, der gleich intervenierte? Weshalb blieb das Parkett des Schauspielhauses in der sächsischen Hauptstadt still? Man stelle sich vor, man hätte gegen das verächtende Sprechen der Schriftstellerin gebuht und gepfiffen – wäre das nicht angemessen gewesen?

Es war offenbar ein wenig so wie damals, 1998, als Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche im Kontext von Auschwitz von „Moralkeule“ sprach und das Auditorium schwieg, ja, gar zustimmte – was wiederum Ignatz Bubis, Zentralratsvorsitzender der Juden in Deutschland, so einsam auf seinem Stuhl hinterließ wie es irgend ging nach 1945: Da waren sie wieder, die meckernden Kinder der Wehrmachtssoldaten, die endlich mal ein bisschen von der Nachkriegsmoral Abstand nehmen durften.

Hannah Arendt sprach im berühmten TV-Gespräch mit Günter Gaus in den sechziger Jahren über die Jahre der NS-Machtergreifung in Deutschland. Sie bemerkte sehr konzis, nicht die Feinde seien das Problem gewesen bei den ersten Aktionen der neuen Machthaber gegen die jüdischen Deutschen, sondern die Freunde – die einen im Stich ließen und keine Solidarität übten.

Das Fehlen der Freunde

Darauf kommt es eben immer an: Nicht, dass die Feinde, wenn man diesen Begriff mal nehmen möchte, die Gegner sind und die eigene Haltung gar, wie im NS, bis ins Existentielle bedrohen. Sondern die Freunde, die plötzlich so weit sich entfernen, dass zwischen ihnen und einem selbst viel scharfer Luftzug entsteht.

Bei den Fragen zum Holocaust war es immer das Problem, ob in Kreisen evangelischer Akademien, Medien wie der Zeit oder in Kontexten des Nachkriegsgedenkens, dass sie überwiegend für eines von „Juden und Deutschen“ gehalten wurden – als ob die in Deutschland lebenden Juden keine Deutschen gewesen seien. Nein, der Antisemitismus ist eine Frage der Antisemiten, nicht der Juden. Die Frage der Homophobie kann nicht von Homosexuellen, Schwulen, Lesben, Trans*, jedenfalls nichtheterosexuellen (Machtmehrheits-)Menschen beantwortet werden; sie ist eine, mit der sich der heterosexuelle Mainstream auseinanderzusetzen hat.

Schwul oder lesbisch zu sein, jedenfalls nicht den bevölkerungsmehrend-kopulierenden Wünschen einer Autorin zu entsprechen, ist keine Grille des Lifestyles, der Moden, der politischen Korrektheit. Homosexuelle sind, objektiv, Opfer der heterosexuellen Machtmatrix, wie sie Frau Lewitscharoff so eindrücklich formuliert hat: Wer ihr nicht folgt, erntet Ekel und Hass.

Soll sie doch aufrechterhalten, was ihr niemand nehmen möchte: die eigene Auffassung, und sei sie noch so herzlos und trübselig. Aber wo sind unsere Gutmenschen – von der Literaturszene bis zu den Gewerkschaften –, die sagen: Im Zweifelsfall sind unsere Kinder alle so, wie sie sie nicht gern haben. Im Zweifel sind wir alle homo!

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