NRW-Ministerpräsident über Verkehrschaos: Wüst und die Wahrheit
CDU-Mann Wüst will mit Staus wegen einer einsturzgefährdeten Brücke nichts zu tun haben. Er war zur fraglichen Zeit Verkehrsminister.
Im Dezember 2021 war die über 450 Meter lange und etwa 75 Meter hohe Talbrücke Rahmede auf der A45 wegen akuter Einsturzgefahr völlig überraschend gesperrt worden. Unterbrochen ist seitdem die Hauptverbindung zwischen Dortmund und Frankfurt, die täglich von mehr als 60.000 Fahrzeugen genutzt wurde. Die wälzen sich nun durch die Stadt Lüdenscheid und ihre Nachbarorte, sorgen jeden Tag für kilometerlange Staus.
Lärm, Dreck, Feinstaub und Vibrationen haben nicht nur die Nerven der Anwohner:innen längst blank gelegt. Die Industrie- und Handelskammer Südwestfalen rechnet wegen Lieferschwierigkeiten und Umsatzeinbußen mit Schäden von mindestens 1,8 Milliarden Euro – wenn eine neue Brücke, wie erhofft, 2026 eingeweiht werden kann. Bisher steht aber nicht einmal ein konkreter Termin für die Sprengung der alten Brücke fest.
Ministerpräsident Wüst hat bisher jede persönliche Verantwortung für das Desaster weit von sich gewiesen. „Wann welches Bauwerk saniert wird, ist eine fachliche Entscheidung, die im Übrigen vor meiner Amtszeit getroffen wurde“, erklärte er etwa im April 2022. Bis zur gewonnenen Landtagswahl waren es da nur noch 5 Wochen – und im Wahlkampf hätte ihm ein Image als inkompetenter Ex-Verkehrsminister sicher geschadet.
Neubau in Wüsts Amtszeit immer wieder verschoben
Interne Unterlagen des NRW-Verkehrsministeriums, die der taz vorliegen, zeigen allerdings: Der zunächst für 2019 geplante Brückenneubau wurde in Wüsts Amtszeit als Minister immer wieder verschoben – zunächst auf 2020, dann auf 2022 und schließlich auf 2025. Erst am Dienstag gestand Wüst, dass sein Ministerium darüber wohl per „Sachstandsbericht“ des damals zuständigen Landesbetriebs Straßen.NRW informiert wurde.
Zur Frage, ob und wann er selbst von den Verschiebungen erfuhr, äußerte sich der Christdemokrat aber nicht. Einräumen musste Wüsts Regierung dagegen, dass in seiner Staatskanzlei und im Verkehrsministerium Mails zum Neubaubeginn sowohl auf Sender- wie auf Empfängerseite gelöscht wurden.
Wüsts amtierender Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), dem die Opposition vorwirft, ebenfalls Akten zurückgehalten zu haben, verteidigte seinen Regierungschef dennoch. Sein Ministerium könne keine vollständigen Unterlagen liefern, da der Brückenneubau seit Januar 2021 von der neuen Autobahn GmbH des Bundes verantwortet werde, erklärte Krischer.
Verantwortlich für die Rahmede-Brücke sei damit FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Und der, klagte der Grünen-Politiker, setze statt auf den Erhalt der Infrastruktur noch immer auf Neubauten – dabei gebe es allein in NRW „873 Brücken in der Zuständigkeit der Autobahn GmbH, die in den nächsten 10 Jahren saniert werden“ müssten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung