NINA APIN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Max und Jule bei der Polizei
Max geht nicht mit Fremden mit“ hieß ein Buch für Vorschulkinder, das mir in einer Buchhandlung ins Auge fiel. Die Geschichte geht so: Max wartet auf dem Spielplatz auf Mama. Das dauert – und es regnet. Vielleicht sollte Max mit dem Mann mitgehen, der ihn nach Hause bringen will? Aber Max ist nicht dumm … Die Mädchenversion heißt „Jule geht nicht mit Fremden mit“.
Max und Jule sind die Kindergeneration, die schon vor dem Abc lernen soll, wie man sich gegen sexuellen Missbrauch wehrt. Was wie eine Reaktion des Buchhandels auf das Aufregerthema „sexualisierte Gewalt an Minderjährigen“ klingt, ist ein pädagogischer Klassiker. Vor dem Fremden, der Kinder auf dem Schulweg abfängt, warnte bereits meine Grundschullehrerin. Mit der Folge, dass meine Freundin und ich monatelang händchenhaltend im Rekordtempo nach Hause rasten. Vor dem eigenen Onkel oder dem Jugendpfarrer hat uns keiner gewarnt. Zu diesen Figuren gibt es bis heute keine Bilderbücher.
Nach einer aktuellen Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen (www.rundertisch-kindesmissbrauch.de) müssen die Ratgeber umgeschrieben werden: Danach sind es vor allem Onkel und (Stief-) Vater innerhalb und Freund und Nachbar außerhalb der Familie, die sich an unter 16-Jährige heranmachen. Manchmal sogar die Mutter oder die Erzieherin. Also Vertraute. Gegen diese Grenzverletzung hilft nur: Selbstbewusstsein. Und sichere Anlaufstellen. Wie die ForscherInnen herausfanden, trauen sich immer mehr Opfer, Anzeige zu erstatten. Weil ihnen eher geglaubt wird und weil es seit 2002 das Gewaltschutzgesetz gibt, geht sexuelle Gewalt im Familienkreis seit 20 Jahren deutlich zurück. Max und Jule halten nicht Händchen auf dem Schulweg – sie gehen zur Polizei.
■ Die Autorin ist taz-Redakteurin Foto: privat