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NEU IM KINO: „Nuits et jours“ von Chantal Akerman Das höhere Rondo im Kreisverkehr

Willkommen in jenem höheren Reich, wo die Liebe so groß ist, daß es Tränen regnen möchte, welche hier aber Zähren heißen. Und drunten, in den Straßen von Paris, zirkulieren in einem fort die Autos; ein Taxi darunter, gefahren nachts von Jack, gefahren tags von Joseph; und die schöne Julie aus dem fünften Stock liebt sie beide, tags Jack, nachts Joseph, was gar kein Problem ist, solange sie den Schichtwechsel und ab und zu den Sonntag heiligt. Aber beide lieben auch sie, und damit beginnt das Herzeleid.

Nuits et jours, der neue Film der Bilderdichterin Chantal Akerman, ist wirklich wunderschön, um nur ja auch wahr zu sein in einem absoluten Sinne: Drei makellose Menschenskinder sind aufgeboten, welche tagein, tagaus nur empfinden mögen und selbst gegen das Taxifahren eine Liebe nach dem strengsten Reinheitsgebot behaupten.

Guilaine Londez als Julie hat heiteren Gleichmut für alle Welt und heißt in Wahrheit „O Weib!“ Thomas Langmann als Jack hat Augen, so tief, daß schon viele darin ertrunken sein müssen. Und der dritte im Spiel, Francois Negret, zeigt auch bei dieser Gelegenheit wieder mit seinem ewig todgeweihten Lächeln, wie lieb doch Schwind- und Sehnsucht einander immer noch haben.

Wenn Jack geht, geht Julie zu Joseph und kehrt, wenn Joseph geht, wieder. So lebt sie glücklich in einer Traumzeit der Tag- und Nachtgleiche; das Leben ist ihr ein großes Rondo; ein solches ist auch der Film: Sanft gleiten die Bilder ineinander, schwerelos schwebt die Kamera, Szenen versinken und tauchen wieder auf. Hier regiert wahre Filmkunst, und alles ist eitel Drehen, bis einem taumelig wird; selbst die Autos an der Kreuzung, wo Julie und Joseph einander begegnen, tanzen sacht und still im Kreisverkehr.

Stühle, Fenster, Betten hie und da und draußen Straßen, sie zu wechseln: Die Liebenden brauchen nichts sonst, von Menschen zu schweigen. Sie nähren sich von Luft und ergiebigen Blicken und halbgaren Dialogen. So öd also ist, wie wir bald sehen, das Paradies, so absolut geht uns die absolute Empfindelei bald auf die Nerven, dieses hochprozentige Gefühlsdestillat, welches sich zur Liebe verhält wie der banale Spiritus zum Wein.

Es ist nicht zu vermeiden, daß Jack und Joseph einander wittern. Da fängt das Ende an von diesem Liebesaugenblick, den erlebt, wer Glück hat. Nur wer Pech hat wie ich, muß ihn in der abendfüllenden Langfassung durchmachen. Manfred Dworschak

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