: Mythen und Träume
Zum Auftakt des Laokoon-Sommerfestival auf Kampnagel: Das Teater Mandiri setzt in seinem Stück „Luka“ auf die Verbindung von Tradition und Avantgarde sowie auf optische Wirkung
von MARGA WOLFF
Der Regisseur und Autor Putu Wijaya lenkt den Blick auf die jüngere Geschichte des von Korruption und Wirtschaftskrisen gebeutelten Indonesien. Groteske Auswüchse von Bürokratisierung kennzeichnen da ein hilfloses Krisenmanagement. Ein gefundenes Fressen für den unkonventionellen und kritischen Theatermacher Wijaya, der mit dem formenreichen Spektakel Luka das Laokoon Sommerfestival auf Kampnagel eröffnet.
Luka basiert auf dem Theaterstück The Coffin is Too Big for the Hole des singapurianischen Autors Kuo Pao Kun. Ein Sarg, der zu groß ist für die vom Staat normierten Gräber, gibt absurderweise den Anstoß zu Ärger und Aufruhr. Hierzulande würde die Geschichte vielleicht den Stoff für eine deftige Farce liefern. Wijaya und seine Gruppe Teater Mandiri setzten dagegen auf optische Wirkungen und erzählen die Geschichte in einem faszinierenden Bildertheater, das auf die Technik des traditionell auf Java und Bali beheimateten Schattenrisstheaters wayang kulit zurückgreift, doch hier, anders als die Tradition, nicht ausschließlich Puppen sondern auch Menschen einbezieht.
Wijaya stammt aus Bali. Die Unabhängigkeit seines Theaters gilt ihm als höchstes Gut. Ein Freiheitsdrang, der ganz im Sinne der Tradition seines Volkes zu stehen scheint, das sich bekanntlich lange Zeit heftig gegen die holländische Kolonialmacht gewehrt hatte. Auf Umwegen ist der studierte Rechtswissenschaftler und frühere Journalist zum Theater gekommen. Kein Wunder also, dass die von ihm 1971 in Jakarta gegründete Gruppe Teater Mandiri mit ihrer Verbindung von Tradition und Avantgarde selbst in der indonesischen Theaterwelt eine Ausnahmeerscheinung darstellt.
Selbstständig und dennoch fähig zu sein, in einer Gruppe zu arbeiten, bedeutet denn auch der Name der Kompanie Mandiri. Als eine Art Familie begreift sich die Truppe, in der jedes Mitglied für alle notwendigen Aufgabenbereiche mitverantwortlich ist. „Die Schauspieler gleichen Soldaten, stets bereit für den Kampf, bereit, auf alle Eventualitäten zu reagieren“, erklärt Cobina Gillit, eine enge Mitarbeiterin von Wijaya und Performerin in seiner Gruppe. Die Proben beinhalten ein ausgiebiges körperliches sowie geistiges Training. Zudem setzt Teater Mandiri auf die indonesische Volkstradition tontonan, die, speziell auf Bali, Ereignis, Spektakel und Ritual in sich vereint. Wijaya selbst spricht denn auch von einer kollektiven Meditation, die auf ein spirituelles Erleben zielt und dennoch unterhaltend ist.
Das Ziel ist der geistige Aufruhr und gleichzeitig das Streben nach spiritueller Ausgeglichenheit. Das klingt paradox, meint aber die ständige Umwälzung und Neuordnung von Körper, Geist und Sinnen. Eine umfassende Erfahrung von Realität, durchdrungen von der Welt der Mythen und Träume. Unverkennbar ist eine tiefe Verwurzelung mit der reichen, größtenteils hinduistisch geprägten Kultur auf Bali, die der spirituellen Seite des Menschen im Alltag große Bedeutung beimisst und ihren Ausdruck in den häufig praktizierten Tanz- und Trance-Riten findet.
Teater Mandiri, bemerkt Gillit, berufe sich zwar nicht ausdrücklich auf einen spezifischen Tanzstil. Die Aufführungen seien jedoch von einem traditionellen geistigen Konzept getragen, das man als die Balance von Ort, Zeit und Stimmung begreifen könnte. „Es erlaubt uns eine stete Anpassung, auch an ein jeweiliges Publikum. Ironischerweise ist dieses traditionelle Konzept verantwortlich dafür, dass die Vorstellungen des Teater Mandiri so zeitgemäß sind.“
Im eigenen Land hat es das zeitgenössische Theater im Moment dennoch schwer. Cobina Gillit, die als Expertin des indonesischen Theaters gilt, glaubt jedoch an seine Zukunft, weiß um seine lange Geschichte als wichtiges Medium der Kommunikation in Indonesien. Überleben kann das Teater Mandiri einzig durch Einladungen wie diese jetzt nach Hamburg zu Laokoon. Nebenbei führt Putu Wijaya Regie bei Fernsehserien, die er auch selber schreibt.
Do–Sa, 20 Uhr, Kampnagel, k6
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