■ Muss Pazifismus sich wandeln?: Hilflose Pazifistenschelte
betr.: „Gehetzte Vorreiter“ von Erhard Eppler, taz vom 19. 11. 01
Der militarisierte Pazifismus soll also nach Erhard Eppler die Lösung sein. Was nicht nur ich mich seit langem frage: Was ist internationaler Terror?
Unglaublich ist die Behauptung von Herrn Eppler, dass am Ersten und Zweiten Weltkrieg etwas rechtsstaatlich war. So unterschiedlich sind Wahrnehmungen und Interpretation von Geschichte. Erstmalig C-Waffen-Einsatz (Giftgas, 1. Weltkrieg) und den industriellen Völkermord (an religiöser Gruppe, nämlich der jüdischen) ordnen „wir“ nun als rechtsstaatlich ein.
Sicher: war und ist nicht ungewöhnlich, dass Unrecht zu Recht wurde. Politiker biegen Recht, wie sie es brauchen, um Herrschaft auszuüben.
Das angepasste Volk finanziert das alles auch noch mit seinem sauer verdienten Geld (Steuern). Mit Zorn
ILSE SCHWIPPER, Berlin
Wie kann sich Gewalt privatisieren, wenn sie durch unsere Regierungen subventioniert wird?
Zwar haben sich Bedeutung und Funktionen der „modernen“ Armeen der Industrienationen geändert, und eine simple „Kanonenfutterfunktion“ westlicher Soldaten dürfte nicht mehr praktikabel sein, die Eppler’schen Einschätzungen über die nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppen verwechseln aber Ursache und Wirkung. Diese Gruppen sind nicht aus dem luftleeren Raum entstanden und deren „militärisches Potential“ haben diese in erheblichem Maße erst durch unsere „guten Demokratien“ errungen, sei es wegen der Spekulation, die nicht ganz so bösen Jungs gegen die richtig bösen fit zu machen, oder sei es aus reiner Profitgier der eigenen Rüstungsindustrien. Die Europäer, die ehemalige Sowjetunion (und teilweise ihre Nachfolgestaaten) und die Amerikaner sind die Ausrüster, Ausbilder und Nachschublieferanten ebendieser Gruppen. Wir kämpfen immer wieder gegen Armeen, deren Schlagkräftigkeit und Einfluss wir selbst mit zu verantworten haben. Wobei wir uns dann in der Bewertung weltpolitischer Ereignisse besonders gerne auf moralische Positionen, unsere unfehlbare Ethik und die „Zivilisation“ berufen.
Hier von Pazifisten ein programmatisches Umdenken einzufordern, ist ebenso billig wie falsch. Der Vorwurf, Pazifisten würden die Realitäten verkennen, ist so alt wie die Idee des Pazifismus selbst. Genauso alt ist die Weigerung, alternative Konfliktlösungskonzepte überhaupt zu versuchen, in dieser Welt patriachial-militärischen Abgrenzungsdenkens. Nicht die Welt hat sich in ihren Grundmechanismen derart verändert, sondern die Methoden werden medienwirksamer und subtiler.
Als Pazifist interessiert es mich herzlich wenig, ob souveräne Staaten miteinander Krieg führen oder kriminelle Gruppen, oder ob souveräne Staaten mal eben qua Definition zu nicht legitimen Regimen umdeklariert werden, weil es ins tagespolitische Konzept passt (man kann ja später jederzeit widerrufen und die Guten wieder zu Bösen erklären). Die hilflose Pazifistenschelte scheint bei aller Popularität eher Ausdruck eines heftigen Erklärungsnotstandes derer, die mit dem Widerspruch zwischen plakativen Eine-Welt-Phrasen einerseits und der traurigen Realität einer tatsächlich geteilten Welt andererseits, bei immer schlechter zu leugnenden gegenseitigen Abhängigkeiten, nicht klarkommen. [...] BORIS MANNS, Poppenhausen
Ihr Text liest sich, als sei mit den Konflikten dieser Welt alles in Ordnung gewesen, solange sich zwei klar definierte Staaten als Gegner gegenüberstanden, mit sozusagen festen Regeln, einem erklärten Anfang und Ende, womöglich noch einem „Ehrenkodex“ der Soldaten. Demgegenüber stünden die neuzeitlichen „privatisierten“ Krieger, die verbrecherischen Guerilla- und Bandenkriege, die miafiosen Strukturen ohne Gesetz und Ordnung. [...] Es ist leider erwiesen, dass Soldaten schon immer und in allen Kriegen geplündert, gemordet und vergewaltigt haben. In allen Kriegen der Vergangenheit galt die „Regel“: „Der Krieg ernährt sich selbst – und nimmt sich, was er braucht.“ [...]
Trotzdem stimme ich zu, dass es Situationen gibt, in denen ein Eingreifen von außen sinnvoll sein kann. Ich bin Ihrer Meinung, dass wir dafür ein internationales Gewaltmonopol brauchen. Es kann nicht sein, dass sich irgendein Staat, wie auch immer, selbst zur Weltpolizei erklärt. Was ich gegen die Interventionsbegeisterung insbesondere der deutschen Politik habe: es wurde weder im Kosovo noch jetzt in Afghanistan ernsthaft versucht, einen (gewaltfreien) Widerstand innerhalb dieser Länder zu fördern. [...] Dass die Taliban Menschen- und Frauenrechte mit Füßen treten, ist seit mehreren Jahren bekannt. Mariam Notten, afghanische Soziologin in Berlin, berichtete, dass viele Männer nur aus rein materieller Not und Abhängigkeit für die Taliban kämpfen und sofort die Waffen niederlegen würden, wenn ihnen eine andere Existenzsicherung möglich wäre. Warum wird nicht dahin „investiert“?
Sie haben recht, dass der „herkömmliche“ Krieg im Schützengraben (bei uns) ausgedient hat und moderne Armeen (und ihre Aufgaben) anders aussehen. Das kleine, effiziente Kommando Spezialkräfte, diese Supertruppe, die nun „zur Bekämpfung des Terrorismus“ über Afghanistan abgeworfen werden wird, die wurde allerdings gegründet, um „den freien Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ zu sichern (Verteidigungspol. Richtlinien der Bundeswehr, 1996).
Ich bin auch Ihrer Meinung, dass Pazifismus keine kategorische Leerformel und kein frommer Wunsch sein darf. Er muss immer wieder die historische Situation analysieren und sich ihr anpassen. Aber was Sie fordern, würde bedeuten: erst haut die eine (militärische) Hand alles kaputt, und danach darf die andere (pazifistische) die Scherben aufkehren. Das ist genau die Rolle, für die immer die UNO missbraucht wird. [...]
J. L.
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