: Muskelmesse am Ende
■ Die Olympia-Maschine verliert ihren Reiz
Muskelmesse am Ende Die Olympia-Maschine verliert ihren Reiz
Jetzt, wo das Ende der Aufregung bevorsteht, nach unzähligen Stunden vor der Glotze, bekommt das Olympia-Phänomen '92 Konturen: Je größer die Vorfreude, desto größer die Enttäuschung. Keine Highlights, über die man mit Freunden hinterher reden will: „Hast Du das gestern gesehen...?“ — Boris ohne Lust, Steffi ohne Last, das „Weitsprungduell des Jahrhunderts“ ein Flop, das Floppen selbst am Ende durch fast 20 Fehlversuche in Folge entschieden, und ob Heike Henkel/ Drechsler nun Erste wird oder Dritte, was zählt das morgen noch — außer für sie? Fechten, Ringen, Boxen, fischgleiche Schwimmerschwärme — ein Athlet wie der andere, zudem mit bisweilen wenig nachvollziehbaren Regeln und meist erklärungsunfähigen Reportern, denen das „Gold für Deutschland“ schlimmer denn je über alles ging in der Welt. Was bleiben wird, sind blasse Erinnerungen und Statistiken. Keine Begeisterung und schon gar keine Entzugserscheinungen.
Olympia hat abgewirtschaftet — bei und wegen gleichzeitiger Totalvermarktung. Kaum noch irre Typen oder mögliche Legenden, sondern nur noch rasende, radelnde und schlagende Geschäftsleute auf ihrer großen Muskelmesse. Irgendeinen Leichtathletik-Sprint gewinnt einer von acht Farbigen. Ein austauschbarer Sieger. Quatscht den gleichen Blödsinn wie alle: „I am so happy. Habe mein Bestes gegeben.“ Und über die TeilnehmerInnen in Kraftdisziplinen kann man eh nur noch lachen: Dopingmonster, wer zweifelt daran. Und wo braucht man keine Kraft?
Dazu das Versagen in der ersten Fernsehreihe. Sie wollten alles bieten und schafften wenig. Die Regisseure peitschten uns, wie Programm-Zapper, in heilloser Hektik durch die Disziplinen. Dazu furzdröge Interviews (Hauptsache: Deutsche) langweilig-perfekte Kameras und — erstmals — Werbeblocks en masse. In gnadenloser Bigotterie wurden, daß es nur so menschelte, zwischendurch belächelnswerte Versager eingeblendet — humpelnde Marathonistin, Sportler aus Tonga („Da kennen wir sonst nur den dicken König“), Radlplumpser, Bootskenterer — Versager als Korrektiv für aalglatte Synthetiksieger.
Olympia '92 auch: Der mediengeile Chef ein Ex-Faschist, alles eine Mammutshow für die Mammonflut, eine millionenschwere Materialschlacht um Millimeter, dazu verlogene Scharen tölpelhafter Funktionäre und Dopingspritzen in aller Venen, nicht nur bei den männlichen Hormonbullen und den auf Bonsai-Format gezüchteten Turnkindchen — all das ahnten wir vorher. Die Illusion vom sportlichen Flair, die große Show, die Spannung sollten uns über besseres Wissen hinweghelfen. Uns betäuben, dopegleich. Nur: Das gelang nicht mehr, weil Perfektion nicht anturnt. „You can't beat the feeling“ — das ist die schon vorab entlarvte Lüge für die Coke-Games in Atlanta 1996. Bernd Müllender
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