: Musik über Musik
■ Peter Ruzicka, Opernintendant und Komponist, und Marita Emigholz, RB, über Neue Musik für alle / Heute „Bremer Podium“
hierhin bitte den
lächelnden Mann
Peter Ruzicka
Neue Musik wird bei Radio Bremen groß geschrieben. Nicht von ungefähr ist die Veranstaltungsreihe „pro musica nova“ international anerkannt. Daneben gibt es seit knapp 13 Jahren das „Bremer Podium“. Marita Emigholz, Redakteurin für Neue Musik, ist die Nachfolgerin von Podium-Begründer Solf Schäfer, der im letzten Sommer zum ORF wechselte. Die taz sprach mit ihr und mit dem Komponisten Peter Ruzicka, dem heute das Podium gewidmet ist.
taz: Warum ein „Podium“?
Marita Emigholz: Wir wollen zeitgenössische Komponisten in ihrer Entwicklung porträtieren. Die Gäste des Podiums sind deshalb keine Newcomer, sondern Leute, die sich schon einen Namen gemacht haben. Frühstil, Spätstil, so etwas gibt es ja nicht nur bei den „klassischen“ Komponisten. Wir wollen eine Idee davon geben, wie verschiedenartig die Werke eines Komponisten sein können.
Im Fall von Peter Ruzicka beim morgigen Podium werden es zum Beispiel Werke aus den Jahren 1969-87 sein. Und ein wesentliches Merkmal des Podiums ist die Koppelung von Workshop und Konzert. Im Workshop kann der Komponist Einblick in seine Arbeitsweise, in sein musikästhetisches Denken geben. Und hier hat das Publikum natürlich die Gelegenheit, Fragen zur Musik und zur Person zu stellen.
Herr Ruzicka, Sie sind seit fast vier Jahren Intendant der Hamburger Staatsoper und außerdem Professor an der Hamburger Musikhochschule. Wo bleibt im Tagesgeschäft die Kompositionsarbeit?
Peter Ruzicka: Im Tagesgeschäft ist sie schlechterdings nicht möglich. Sie ist möglich in den verbleibenden Sommermonaten. Das ist eine Spielregel, die ich mir habe setzen müssen. Aber es hat sich gezeigt, daß doch jedes Jahr im Sommer ein Stück entstanden ist, teilweise sogar größere Orchesterstücke; also: das Komponieren ist nicht zum Erliegen gekommen.
Sie haben mit 22 Jahren einen ersten Kompositionspreis erhalten, jetzt sind Sie Mitte 40. Hat sich Ihr Komponieren in dieser Zeit verändert?
Peter Ruzicka: Ja. Damals ging es noch darum, eine Musik zu schreiben, die in gewisser Weise musikalische Vorbilder gespiegelt hat. Damals haben wir geglaubt, die Musik könne auch gesellschaftlich etwas bewirken, etwas umformen. Das ist in den seltensten Fällen — wenn überhaupt — eingelöst worden. Jetzt geht es mir darum, eine Musik zu schreiben, die sich selbst reflektiert. „Musik über Musik“ ist vielleicht das Stichwort der letzten Jahre. Ich habe Musik geschrieben, die um Mahler, um Schumann kreist. Nicht so, daß etwas zitiert wird, sondern daß bestimmte Gesten und ästhetische Grundfragen von Mahler plötzlich wieder ganz aktuell waren.
“Abbruch“, dieser Begriff taucht als Werktitel oder auch als Stilmerkmal bei Ihnen immer wieder auf. Eine Art Motto?
Peter Ruzicka: Musik, die um Mahler kreist, befaßt sich notwendigerweise mit dem Moment des Abbrechens. Das hat Adorno als erster plastisch herausgearbeitet: Der Abbruch als Formgesetz, das Fragment als Formgesetz. Das hat mich sehr interessiert, daß im Moment des Abbrechens die Musik eine Art Spiegel auf sich richtet, daß der Hörer aufgefordert wird, zurückzuhören.
Was erwartet die Leute in Ihrem Workshop?
Peter Ruzicka: Wir wollen versuchen, ein paar Hörhilfen zu geben. Das Angebot richtet sich also an den fachlich nicht vorgebildeten, aber neugierigen Hörer. Der Zugang wird sehr viel leichter, wenn man Ausschnitte mehrmals hören kann. Das Wiedererkennen ist ja ein ganz wichtiger Faktor für das Verständnis der Neuen Musik. Ganz selten gelingt es beim ersten Hören, die Dimension eines Stückes ganz zu erfassen. Durch den Workshop, der auch Hörhilfen verbaler Art enthalten wird, wollen wir versuchen, da ein bißchen wegweisend zu sein.
Kann denn jeder Neue Musik verstehen?
Peter Ruzicka: Im Idealfall ja. Wenn eine Komposition gelingt, dann müßte sie sich immer verständlich machen können. Die Stücke, die sich auf jedem Hörniveau bewähren, sind es, die dann auch überleben. Das ist natürlich das Ziel eines jeden Komponisten. Es gelingt nur nicht immer.
Frau Emigholz, was planen Sie auf lange Sicht für das „Bremer Podium“?
Marita Emigholz: In diesen 13 Jahren mit jährlich 2-4 Veranstaltungen war erst eine Komponistin dabei. Es gibt da also einen Nachholbedarf. Außerdem möchte ich diesen Untertitel „Neue Kammermusik nicht ganz so streng nehmen und das „Podium“ auch in Richtung Jazz und Improvisation öffnen. Fragen: Imke Turner
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