piwik no script img

Musik kommt von Umgebung

■ Die »Romeos« und »Carter The Unstoppable Sexmachine« im Loft

Um Bremen herum ist viel Land, auf dem flache Häuser und saftige Grashalme wachsen. Die Romeos kommen aus Bremen. Am Sonntag abend stellten sie im Loft als Auftakt zu Carter The Unstoppable Sexmachine vor, was aus solchem Umland aufstrebende Musiker wissen und wovon sie träumen.

Sie wissen, daß man Bob Mould kennen muß, sie sind sich einig darüber, daß REM eine Legende sind. Sie wissen ebenfalls, daß in Amerika viele junge Männer in einfachen T-Shirts und verbeulten Jeans auf Gitarren Musik machen, und sie wissen, daß Johnny Cash eine einsame Größe darstellt. Weshalb sie ihm gleich eine Ode widmeten. Nichts lieber sähen sie, als daß statt des schwarz-weißen Buntviehs echte Longhorns auf den heimischen Weiden stünden. Aber Norddeutschland ist kurz, und die Sehnsucht nach dem Horizont wird hier sogleich aufgehalten von Autobahnen und unzähligen Gartenzäunen. Weshalb sich die Romeos die stoische Melancholie ihrer Vorbilder, hervorgegangen aus dem Bewußtsein von verlorenen Männern in den Weiten des westlichen Landes, nicht zu eigen machen konnten — die Umgebung macht die Musik.

Carter The Unstoppable Sexmachine kommen aus Süd-London, wie der halbnackte, überdicke Freund des Duos beim Mikrofoncheck betonte. Das Bandlogo der Romeos, den Gartenzwerg, steckte er sich in den Hosenschlitz. Deutlicher ging's nimmer: London liegt fernab deutscher Vorgärten in Großbritannien. Hier spricht man Britisch und pflegt einen britischen Humor. Aber nicht nur. In London ist man urban, und London bedeutet Masse. Weshalb auf dem Schlacksshirt des Sängers Jim Bob groß »New York« prangt und die Merchandising-Artikel der Band volksnah Fußballästhetik aufweisen. Eine große Dreißig prangt auf den Schweißhemden, darunter, kleiner: »Thirty something«.

Tatsächlich sind Carter The Unstoppable Sexmachine, ohne alt zu sein, nicht mehr die Jüngsten. Die Geschichte des Pops und des Punks kennen sie nicht nur aus den Heldenerzählungen, sondern haben sie erlebt. Auch als Musiker, bis sie sich 1988 zur Band mit dem unsäglichen Namen formierten und schließlich zu jener Zweieinheit von Fruitbat und Jim Bob zusammenschmolzen, die außer Baß und Gitarre nur Maschinen zuläßt.

Wer aber Beats per minute erwartete, wurde im Loft enttäuscht. Carter stellten sich als Geschichtsschreiber vor. Punk ist Pop, lautet ihre These, und beides britisch. Die Texte des Duos halten die englische Tradition hoch, die kompliziertesten Dinge des Lebens auf poetische Formeln verkürzt auszudrücken, egal, ob es sich um jene diffuse Atmosphäre an einem Sonntagmorgen nach einem Sonnabendabend handelt, um eine Karte, die, aus dem Kriegsgebiet abgeschickt, nur deutlich macht, daß des Absenders Chancen, bis zu ihrer Ankunft beim Adressaten zu überleben, fünfzig/ fünfzig stehen, oder um »Shopper's Paradise«, in dem die Girls ihr Geld für Tand lassen. Nicht alles davon war aus den Vibrationen, die durchs Loft zogen, herauszuhören, aber hier und da kam die spröde Melancholie hervor, zu der nur die Briten fähig sind, auch dann noch, wenn der Takt Pogo vorgibt.

Punk ist Pop und damit nicht von gestern, sondern für morgen. Optisch machten die Carters das fest mit aktuellen Baseballmützen und Dauergeflacker der Stroboskope, akustisch mit dem Kunstgriff, diesem einen Genre andere dazuzugesellen, auf der Gitarre zwanzig Jahre in den tiefsten Rock zurückzuwandern, mit einem angerapten Text kurz drüberzuwischen oder die allervorvorletzte Zugabe den Pet Shop Boys zu widmen. Den entscheidenden Beweis der Carterschen These aber führte der Sänger vor. Über dem Drumcomputer manövrierte er, als gäbe nicht die Maschine den Takt vor, sondern die Stimme, und ließ sich nicht aus dem Konzept bringen von den historischen Quellen, die er selbst am Baß, sein Nebenmann an der Gitarre und die Maschinen zitierten. Blieb sich bar jeder Bühnenshow treu in trotziger Unschuld: von solch stillem Leid im Großstadtgewühl, von solch joy and fun und soviel Stehvermögen sangen einst The Clash, rotzten einst die Sex Pistols die Textfetzen über den letzten auskreischenden Akkord. London was still calling im Loft. Claudia Wahjudi

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen