: Musik für Truthahnkrimi
■ Beim „Wilden Fest“ flatterten im Moments Hühner und diverse Musikstile wild herum
Eine kleine Filmleinwand hatte sich im hinteren Eck der Bar des Moments finkennestgleich eingenistet. Darauf zu sehen ist eine Dokumentation der Gebräuche des Volks der Truthähne während des Faschingsfestes. Kenner jedoch behaupten, dass es sich bei diesem Film um einen Krimi im Wienerwald-Milieu im Stil von „Miami Vice“ handelt.
Jedenfalls: Es flattert. Außerdem soll der Film seit einigen Jahren in Bremen immer dann gezeigt werden, wenn dringender Avantgardeverdacht besteht. Quasi als Erkennungszeichen einer Art Geheimbund der Vereinigten Wirrköpfe unserer Stadt – heißt es. Gewiss ist allerdings, dass bei diesem Film der Tatbestand der Verletzung diversester Bundestierschutzverordnungen vorliegt.
Die Musik von „Das wilde Fest“ ist unter Umständen inspiriert von dem Truthahn-Krimi. Zwar vermisst man mit einer gewissen Wehmut die typische Lautäußerung von Legebatterien im Klangspektrum des Quartetts, doch der Genremix ist so fett und bunt wie Hühnersalat. Unter Fachleuten des Musikjournalismus, fällt in solchen Fällen gerne der Terminus technicus „abwechslungsreich“. Dieser „Abwechslungsreichtum“ ist mit genau dem richtigen Hauch von Vielseitigkeit durchmischt.
Besonders schön ist ein Stück, wo Bandleader Ralf Benesch und sein Co-Saxophonist Boyke Kranz eine klassische Thekenszene in Musik umsetzen. Deutlich zu hören bei diesem Duett ist ein fetter besoffener Sack, der einen schmächtigen, zaghaften Mann niederzugröhlen droht. Doch die Macht des Vollrausches verleiht dem Schmächtigen Widerstandskraft. Er bietet zwar fiepsig, aber selbstbewusst Kontra.
Im ersten Stück des Abends ist das Quartett noch ziemlich nah an den Gepflogenheiten des Jazz dran. Viel schöner ist es aber, wenn sie gegen Ende des Abends den klassischen Jazzgestus der Bläser-Extase schalkhaft, doch gekonnt imitieren – inklusive roter Köpfe und zum Bersten gespannter Halsschlag-adern – bis sich plötzlich auf unerklärliche Weise echte Extase einstellt: Die viel gescholtene Simulation war noch immer ein Königsweg zum großen Gefühl.
Quasi eine Urbestrebung von „Das wilde Fest“ ist es, allen Aspekten des menschlichen (und vielleicht auch truthähnischen) Gefühlslebens Berücksichtigung zu schenken, den leisen und überschäumenden, den swingenden und rockigen, den gaukelnden und herzzerrissenen. An einigen Stellen aber müssen wohl versehentlich die Notenblätter vertauscht worden sein.
Da steht dann ein Takt neben einem anderen, und der Zusammenhang zwischen beiden ist bestenfalls hypertroph-dialektisch zu nennen. Einmal hat Benesch das Publikum sogar frech ausgetrickst: Da versandet plötzlich die Musik unauffällig und im Publikum denkt es unhörbar: „Ha, ein Avantgardegestus, eine meisterliche Persiflage von Stückschlüssen, das entgeht uns nicht, denn wir sind klug, wir sind schön“ – und klatscht. Da erklärt Benesch das Stück für noch nicht beendet und spielt weiter.
Nun kommen wir aber zum Schlussresümmee: Wie gewisse andere Herren des Hauses – allen voran Hausherr Peter Apel, aber auch Achim Gaetje von den etwas heftigeren „Swim two birds“, bei denen übrigens Benesch mitwirkt – ist Benesch als musikalischer Bigamist zu bezeichnen: Seine Band pflegt ein genauso inniges Verhältnis zu traditionellen, bisweilen sogar schnulzigen Formen wie zu rauhem, widerborstigem Neutönertum. bk
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