■ Glosse: Multi-Anton
Multi macht müde Männer munter. Zum Beispiel Anton. Anton war schon immer multi. Er ist mit Multivitaminsaft groß geworden. Auch während seines Studiums hielt er an dieser familiären Gepflogenheit fest. Und so blieb er trotz schlechtem Mensaessen bei strahlender Vitalität. Vielleicht kommt seine Vorliebe für alles multifunktionale, multinationale, multimediale ja daher. Ein Kindheitsmuster. Vor vier Jahren lernte er die Argentinierin Mariapaz kennen. Auch sie multi. Eine Erweckung. Und er kam endlich hautnah in die Multikulti-Szene: südamerikanische Kneipen, die spanischen Kitschsongs, die sie dauernd trällerte, und ihr internationaler Freundeskreis. Er liebte die fremde Vielfalt, die Multikulturalität. Und er liebte seine „Wärme aus der Ferne“, wie er Mariapaz augenzwinkernd nannte. Ihre Beziehung war multikultifunktional: Sie wollte Deutsch lernen, er Spanisch, sie war chaotisch, er räumte auf, sie kochte gut, er aß gern, und beide waren sie leidenschaftlich, sozusagen multipolymorph pervers. Doch im Leben eines jeden Mannes gibt es Brüche.
Urplötzlich wollte sie nicht mehr. Er wollte schon, aber auch nicht so, und dann entschwand seine „Wärme“ in die Ferne, nach Argentinien. Seither ist Anton nur noch sich selber treu. Statt Boxershorts, die sie immer so wahnsinnig erotisch fand, trägt er wieder Schiesser-Feinripp, am liebsten mit eingearbeitetem Bein. Voll im Trend, wie er erstaunt am Ladentisch feststellte. Am Feinripp erkannte er, wie lange er in symbiotischer Verklammerung blind gewesen war. Statt Spanisch übt er nun Geschäftsenglisch, und statt Reis ißt er Kartoffeln. Vom Matetee kehrt er zurück zum Multivitaminsaft, morgens, mittags, abends; die Lateinamerikagruppe tauscht er gegen das Fitneßcenter; langwierige Beziehungsdiskussionen über persönliche und kulturell bedingte Unzulänglichkeiten gegen nächtelanges Surfen im Internet.
Anton ist ein im Trend geläuterter Früh-70er: Er schätzt Begegnung ohne Ressentiments und Körpergeruch. Und wenn er dann mit Nick aus Kalfornien um drei Uhr nachts über die Vorteile seines neuen multifunktionalen Camcorders konferiert oder Instantsex im Internet treibt, fühlt er sich mehr denn je zu Hause im globalen Dorf Welt. Geborgen. Denn daran kann man nicht zerbrechen. Multi-Edith
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