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Muhammad Ali findet nicht aus dem Ring

■ Joschka Fischer, dem so einige Ähnlichkeiten mit Helmut Kohl nachgesagt werden, präsentierte in Bonn die neueste Biographie über den Bundeskanzler: „Ein dickes Werk über einen dicken Gegenstand“

Bonn (taz) – Noch ein Buch über Helmut Kohl. Als ob wir nicht schon alles wüßten. Der Journalist Klaus Dreher präsentierte sein Werk „Helmut Kohl – Leben mit der Macht“ jetzt in Bonn. Die Laudatio hielt Joschka Fischer. Doch wenn Fischer ein Buch über Kohl vorstellt, dann verspricht dies einen Leckerbissen, vielleicht gar ein Spektakel. Der grüne Fraktionschef nutzte erwartungsgemäß die Einladung zum Seitenhieb auf Kohl. „Ein deutscher Patriarch kennt keinen Herbst, es geht rund oder zu Ende. Diesmal geht es nicht mehr rund“, kündigte Fischer an, denn mit der Bundestagswahl am 27. September und der Wahlniederlage der Koalition werde auch die Ära Kohl zu Ende gehen.

Für Joschka Fischer personifiziert Kohl mit all seinen Stärken und Schwächen die Bonner Parteiendemokratie wie kein anderer. Das Buch sei aber für einen Rückblick auf das Lebenswerk des Kanzlers zu früh erschienen. Fischers Vorschlag für den idealen Erscheinungstermin: im November. Der 49jährige verglich den Regierungschef mit dem legendären Boxer Muhammad Ali: „Auch der fand nicht den Weg aus dem Ring.“

„Die erste große Biographie nach der Wiedervereinigung“, nennen Autor und Verlag das Buch. Klappern gehört zum Handwerk der Verlage, doch Fischer klapperte nicht mit. In der rheinland-pfälzischen Landesvertretung regnete es keine Komplimente für den Autor eines „merkwürdigen Buches“. Drehers Miene wechselte während der kritischen Laudatio zwischen gequältem Lächeln und ironischem Grinsen. Die negativen Statements überraschten, denn die Biographie über Joschka Fischer ist beim gleichen Stuttgarter Verlag erschienen.

Nach Meinung des grünen Politikers bleiben einige Fragen bei diesem 672seitigen „dicken Werk über einen dicken Gegenstand“ offen. Was wäre aus der Kanzlerschaft des Pfälzers ohne Einheit geworden: ein „Fußnotenkanzler oder Übergangskanzler?“ Wie ist das Verhältnis des Staatsmanns heute zu Journalisten? Wie verarbeitete Helmut Kohl Demütigungen von Franz-Josef Strauß oder Helmut Schmidt? Wo bleibt die Persönlichkeit Kohls?

Der Blick hinter die Fassade des Oggersheimer bleibe verwehrt, statt dessen gebe der Autor eher eine Analyse des Politikers Kohl. Drehers Darstellung finde aus den Hinterzimmern der Macht und den Intrigenmühlen der Bonner Politik nicht mehr heraus. Das Buch werde der Person des Kanzlers und seiner Lebensleistung nicht gerecht, wenn man die inhaltlichen und politischen Triebkräfte kaum beachte. Das gelte insbesondere für die Verdienste Kohls in der Deutschland- und in der Europapolitik, fügte Fischer hinzu. Klaus Dreher, der ehemalige Leiter des Bonner Büros der Süddeutschen Zeitung, der den Kanzler immerhin 32 Jahre lang beobachtet hat, räumte die von Fischer bemängelten Defizite ein. Er habe auch nicht die Möglichkeit gehabt, mit Kohl selbst zu sprechen. Fischers Schlußworte klangen sarkastisch: „Herzlichen Glückwunsch zu diesem gelungen und großen Buch.“ Christian Esser

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