: Müßiger Erntedank
■ Erhard Rittershaus kriegt Erntekrone nicht auf den Kopf, aber viele Äpfel geschenkt Von Ulrike Winkelmann
Die große Enttäuschung zum Erntedankfest: Er kann sie ja gar nicht aufsetzen! So erwartungsvoll waren wir am Tag zwischen den Feiertagen zum Rathaus geradelt, um zu sehen, wie der Wirtschaftssenator und Zweite Bürgermeister Erhard Rittershaus (parteilos) von den Landfrauen die Erntekrone überreicht bekommt – und da steht dann so eine Weizenpelerine stumm und dumm auf dem Tisch herum, und niemand kann etwas damit anfangen.
Ein illustres Ensemble hatte sich im Turmsaal, dem schönsten Zimmerchen im Rathaus, zwischen Marmorsäulen und üppigen Fresken mit vollfleischigen Frauen und lüsternen Faunen eingefunden, um der Landbevölkerung für ihre Mühen Lob und dem Schöpfer Dank zu zollen: Bischöfin Maria Jepsen (ganz in lindgrün), VertreterInnen des Bauernverbands und der Katholischen Landvolkbewegung (ganz verlegen), eine Landfrau (ganz in Tracht) und ein Wirtschaftssenator (ganz rotgesichtig, nachdem er eine unschuldige Praktikantin vom Fernsehen mit „na min Jong“ begrüßt hatte).
Margot Schmahl, erste Vorsitzende der Hamburger Landfrauen, freute sich, daß der Senat das hübsche Erntekronen-Ritual wieder aufnehme und erzählte leidenschaftlich von der „Begeisterung“, die zum Erntefest (erster Oktober-Sonntag) auf dem Land herrsche. Die Stadtbevölkerung mit ihren Supermärkten sei ganz undankbar und hätte gar keine Ahnung, wie mühselig das Landleben so ist. Darum wollen wir von der städtischen Zeitungsredaktion bei dieser Gelegenheit doch einmal auf die großenteils ehrenamtlichen Tätigkeiten von 1700 Landfrauen in Hamburg hinweisen, die auch dazu beitragen, daß es bei Tengelmann und Pro Vierländer Äpfel gibt.
Herr Rittershaus war „überwältigt“, wie er sagte, und fand das rieselnde Ährengebinde „in seiner Schlichtheit überzeugend“ – ungeheuer hanseatisch also. Zwar schlicht, aber wenig überzeugend gab er seinem Glauben Ausdruck, daß „über uns der Allmächtige, äh, Gott ist“, der ja letzlich doch alles in der Hand habe, was wir so „händeln und managen“.
Im übrigen betrage das Umsatzvolumen der Hamburger Land- und Ernährungswirtschaft einige Milliarden Mark, und insgesamt hingen nicht weniger als 25.000 Arbeitsplätze daran. Deshalb sei die Erntekrone unbedingt im Rathaus zu installieren, damit solcher Marktpotentiale auch gebührend gedacht werde.
Mit dem einschlägigen Vokabular wesentlich vertrauter hatte Bischöfin Jepsen zuvor weihevoll behauptet, daß „Erntedank auch in der Stadt gefeiert wird“, und zwar „bis zum Ende der Welt“. Vorläufig sollten wir auch einmal die Hände in den Schoß legen, „nicht zur Faulheit, sondern zur Muße“, und daran denken, daß der Herr alles „zart und künstlich“ geschaffen habe. Zum Beleg zog sie ihr Gesangbuch heran, und alle waren ganz bewegt. Etwas zusammenhanglos zirkulierte die Rede dann um die „gute Ordnung“, die wir uns nicht nur von Gott, sondern auch vom Senat wünschen sollten.
Senator Rittershaus schien jedoch genau zu wissen, wovon die Kirchenfrau sprach, denn er griente zufrieden und ließ sich dann von den Kollegen vom Fernsehen mit Landfrau und Apfelkorb vor dem Getreide-Lampenschirmgestell arrangieren. Ist ja auch mal was anderes als immer nur Adventskränze.
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