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■ VorlaufMüllers Block

„Mommsens Block“, Hörspiel von Heiner Müller, 21 Uhr; HR 2

Vor der Humboldt-Universität steht der Historiker Theodor Mommsen wieder auf seinem Sockel, dem selben Block, auf dem einst Marx stand – einen Staat lang.

Doch nicht nur um diesen Block geht es Heiner Müller in seinem einzigen größeren und persönlichsten Text seit Ende des Sozialismus. Die Frage „Warum / Zerbricht ein Weltreich“ konnte Mommsen für das Römische Reich nicht beantworten, und Müller macht ihn sich hier zum Genossen in der Schreibblockade. In der Verachtung für Brot und Spiele, für Unterhaltung überhaupt, trifft sich Müller mit dem konservativen Staatsrechtler Carl Schmitt; denn eine Welt der Unterhaltung, wie die heutige, ist eine Welt ohne blutigen Ernst, letztlich ohne Geschichte. Eine Welt, für die Dramatiker Müller sich nicht mehr zuständig fühlt. Wofür ist er zuständig? Dafür: „Der GROSSE OKTOBER DER ARBEITERKLASSE besungen / Freiwillig Mit Hoffnung Oder im doppelten Würgegriff /Von zu vielen Und noch mit durchschnittener Kehle“, wo er recht hat, hat er recht, „War ein Sommergewitter im Schatten der Weltbank / Ein Mückentanz über Tartarengräbern.“ Diese Denkfigur, die den Opfertod für die Utopie (d.h. gegen die Weltbank) – und sei es im Gulag – im Grundsatz bejaht und ihn gleichzeitig zum Mückenschwarm verkleinert, macht es Müller unmöglich, den Sieg des Westens anders denn als Apokalypse wahrzunehmen – eine klassische Selbstblockade. Jörg Jannings läßt in seiner Hörspielfassung den hörbar resignierten Heiner Müller erst den Text vorlesen, dann folgt „Mommsens Block – Versuch einer Annäherung“ der gesamte Text noch einmal, gesprochen von Hermann Beyer, dem wohl besten Müller-Sprecher neben dem Meister selbst, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Thormann und Hans Zischler. Eingeleitet wird der 2. Teil „Denn jetzt stehen wir an der Schwelle des Landes, das uns gehört“ (!) mit der DDR-Hymne, einer zuschlagenden Tür. Und, man ahnt es schon, am Ende wird die BRD-Hymne erklingen, Herr Müller seine Coverversion dieses Textes bringen, den „glücklosen Engel“, (der ihm wohl einst auf den eigenen Block gemeißelt werden wird), und eine Tür wird zuschlagen. Und so kommt es dann auch. Jochen Meißner

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