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Müder Geist, schnelle Züge

Während in Indien der Einzug von Viswanathan Anand ins Halbfinale der Schach-WM bejubelt wird, sorgt mit Alexander Grischuk ein 17-Jähriger dafür, dass die Favoriten nicht gänzlich unter sich sind

von HARTMUT METZ

Wie ein brillanter Plan eines Großmeisters auf dem Schachbrett verläuft die dritte K.o.-WM des Weltverbandes Fide in Neu Delhi. Dass dabei Titelverteidiger Alexander Chalifman im Viertelfinale scheiterte, tat der Euphorie bei Präsident Kirsan Iljumschinow und seinen treu ergebenen Vasallen keinen Abbruch. Im Gegenteil, das 1,5:2,5 im Schnellschach-Tiebreak gegen den einheimischen Viswanathan Anand war neben einem großen Schokoladenkuchen nicht nur ein Geburtstagsgeschenk für den 31-jährigen Inder. Das Milliardenvolk fiebert nach dem mühsamen Erfolg des Topfavoriten, der sich schon 1997 bei der ersten K.o.-WM in Groningen (Niederlande) äußerst schwer gegen den Russen Chalifman tat, weiter mit. Tägliche einstündige Fernsehsendungen und Sonderseiten in Tageszeitungen künden von den Heldentaten des „Tigers von Madras“.

Doch eben dies sieht Michael Adams als seine Chance. „Der Druck lastet hier auf Vishy, während ich ruhig ins Halbfinale gehen kann“, meinte der englische Weltranglistenfünfte vor dem Duell, dessen erste Partie gestern mit einem Remis endete. Im zweiten Halbfinale sieht der 29-jährige Adams seinen Lübecker Mannschaftskameraden im Vorteil. „Ich favorisiere Schirow – aber alles ist möglich“, nötigt ihm Alexej Schirows Gegner Alexander Grischuk Respekt ab.

Der Jüngling verhinderte als ungesetzter Akteur, dass der K.o.-Modus gänzlich seinen Schrecken als „Lotterie“ verliert. Im untersten Viertel des Tableaus schied sein russischer Landsmann, der Weltranglistenvierte Alexander Morosewitsch, gegen Wladislaw Tkatschiejew aus. Eben diesen eliminierte Grischuk dann selbst im Tiebreak. Damit hat der 17-Jährige schon rund eine Viertelmillion Mark Preisgeld verdient – ein Zwanzigstel davon hatte er sich erträumt. „Mein Ziel bestand darin, die erste Runde zu überstehen. Als mir das gelang, wertete ich das Turnier bereits als schönen Erfolg für mich!“, kommentiert der neue Star seinen Aufstieg am Schach-Himmel. Froh gelaunt beantwortet Grischuk jede Frage. Warum er so ruhig am Brett sitze? „Weil ich müde bin.“ Warum zieht er immer so schnell? „Ich besitze keine Energie mehr, deshalb spiele ich rasch“, erklärte der Weltranglisten-81., der im November mit Russland die Goldmedaille bei der Schach-Olympiade gewann.

Nun trifft Grischuk ausgerechnet auf den Spieler, dessen Stil ihm besonders imponiert. Schirow gewann gestern bereits die erste Begegnung des auf vier Partien angesetzten Duells und hofft natürlich auf eine Neuauflage des olympischen Demonstrationswettkampfes in Sydney gegen Anand. Im Gegensatz zum 1:1 in Australien erachtet er jedoch diesmal den Inder als Favorit, obwohl das Finale nicht in Delhi sondern in Teheran statt finden wird. „Er befindet sich in guter Form und sparte mit dem Verzicht auf die Mannschafts-Olympiade als Einziger Kraft.“ Dass der unter spanischer Flagge spielende Lette jedoch immer brandgefährlich ist, bekam Weltpokalfinalist Jewgeni Barejew zu spüren. Nach einer herben Schlappe in der ersten Partie konterte Schirow im zweiten Vergleich. Mit genialen Zügen aus dem scheinbaren Nichts heraus glich die Nummer sechs auf dem Globus aus und machte anschließend im Tiebreak kurzen Prozess mit dem Russen.

Ähnlich verlief bereits sein Match gegen Boris Gelfand, als der „Hexer von Riga“ die Fide von einer Sorge befreite: Das Finale in Teheran wäre geplatzt, hätte sich ein Israeli dafür qualifiziert! Das Motto des Weltverbandes mag wohl „Gens una sumus“ (Wir sind eine Familie) lauten, der Iran pochte jedoch darauf, dass kein Israeli einreisen dürfe.

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