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Archiv-Artikel

Motivationsparolen sticken

Ist die eigene Situation erst mal erkannt, kann das Risiko deutlich gesenkt werden: Die junge Galeristin Jette Rudolph hat sich gegen die Flucht in die Sommerferien und für eine Ausstellung über das Scheitern entschieden – das passt zu ihr. Ein Porträt

VON MARCUS WOELLER

Jeder kreative Akt birgt eine große Gefahr. Die des Scheiterns. An den gesetzten Zielen, an den Möglichkeiten, an den eigenen Hemmungen, an den Erwartungen. Man kann die gesamte Kunstgeschichte als große Erzählung über das Scheitern begreifen – Genie und Wahnsinn liegen oft genauso dicht beieinander wie Erfolg und Misserfolg. Mit einem historischen Blick auf die Kunst lässt sich das leicht sagen. Doch wie den schmalen Grat erkennen, auf dem Künstler heute agieren?

Um das herauszufinden, betreibt Jette Rudolph seit 2003 eine Plattform. Ihre Galerie hat sie zunächst als Projektraum in der Joachimstraße in Mitte gegründet, in dem sie jungen Künstlern, „emerging artists“, die Möglichkeit bot, ihre Arbeiten aus- und damit in den Wettbewerb zu stellen. Mit ungewöhnlichen Gruppenshows und Konzeptausstellungen, die auch schon mal Motorräder und ein Easy-Rider-Gefühl in den Galerieraum holten, hat sie sich schnell einen Namen als Cutting-Edge-Galeristin gemacht. Und sich damit eine gute Position erarbeitet in der fein austarierten Kunst- und Kunsthändlerszene Berlins, wo zwischen neuen und neueren, jungen und upcoming, etablierten und arrivierten Galeristen unterschieden wird. Jette Rudolph hat sich da nicht beirren lassen und ein Vertrauensverhältnis zu den Künstlern aufgebaut. Damit ist sie so gut gefahren, dass sie nach zwei Jahren den Sprung aus der Enge des Auguststraßenkiezes in den nicht minder engen Galerienkomplex an der Zimmerstraße gewagt hat. Hier residiert sie nun neben Kollegen wie Max Hetzler, Klosterfelde oder Barbara Weiss.

Kunsthistorikern spricht man ja gern die Fähigkeit ab, im Galeriebusiness bestehen zu können, wo es neben Kunstverstand hauptsächlich um wirtschaftliche Faktoren und einen großen Vorrat an Soft Skills geht. Rudolph (35) hat Kunstgeschichte im belgischen Leuven, in Bonn und in Frankfurt bei Stefan Germer studiert. Nach Berlin ist sie Ende der Neunzigerjahre gekommen, um ihre Doktorarbeit zu schreiben. Die liegt bis auf Weiteres auf Eis. Stattdessen kümmert sich Rudoph inzwischen professionell um Aufzucht, Hege und Pflege ihrer Künstler, den Aufbau eines Stamms von Sammlern und die Vernetzung mit Partnergalerien im Ausland.

Ihr Portfolio ist weit gefächert. Viel Installation und Skulptur, natürlich Malerei und Fotografie, inzwischen auch neuere Medien. Analytische, strukturelle Herangehensweisen interessieren sie, Genderfragen weniger.

Zurzeit vertritt die Galerie Jette Rudolph knapp zehn Künstler exklusiv. Etwa Tine Benz, die in Installationen und Pigmentbildern architektonische und raumgreifende Dimensionen entwickelt. Natalie Czech konstruiert Fotomontagen und entdeckt das Ornament in der gereihten Anordnung von Zeitungskreuzworträtseln wieder. Lea Asja Pagenkemper transportiert Street Art, Tags und Graffiti auf die Leinwand. Dennis Rudolph, mit dem Jette Rudolph zwar den Nachnamen teilt, aber kein Verwandtschaftsverhältnis hat, vertieft sich in die Ikonografie von Kupferstichen oder historischen Lithografien und lockt den Betrachter in doppelbödige Assoziationsfallen. Marcus Sendlinger arbeitet abstrakt und grafisch, mischt die Medien und hat auch schon Ausstellungen für die Galerie kuratiert.

Das Scheitern hat in der Entwicklung der Galerie Jette Rudolph bisher keine Rolle gespielt, obwohl sich in den Anfangsjahren jede Entscheidung existenziell anfühlte. Umso programmatischer kann man jetzt die aktuelle Ausstellung verstehen, mit der Rudolph in Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Künstler und Kurator Francis Hunger das Sommerloch überbrückt. Die Schau mit dem Titel „Niemals Scheitern!“ stellt sich der Frage, ob der Misserfolg zu Unrecht negativ konnotiert ist und ob die modische Volte des angeblich schönen Scheiterns eine ernst zu nehmende Option ist.

Claudia Lindner fotografiert in der Serie „Young Cocks“ aufgetakelte junge Männer, die sich selbstbewusst der sozialen Kälte entgegenstellen und sich sagen: Pimp yourself! Greif & Hennig spüren noch mal dem Situationisten-Slogan „Ne travaillez jamais“ nach und begegnen dem Scheitern mit der kategorischen Verneinung. Performancekünstler und Fotograf Janne Lehtinen versucht gar nicht erst zu fliegen – die Vorstellung davon ist doch eh schöner! Also geht er mit selbstgebastelten Flügeln oder Luftballons auf dem Rücken in Stellung und verharrt vor finnischer Landschaft. Denn ist die eigene Situation erst mal erkannt, kann das Risiko, zu scheitern, ironisch gebrochen und erheblich gesenkt werden. Ganz fadenscheinig stickt Bea Meyer dann autosuggestive Motivationsparolen auf Stoff, während Ronnie Bass in einer Videoarbeit die aussichtslose Gründung einer Chipfabrik in der Wüste imaginiert.

Für Jette Rudolph und ihren Assistenten Robby Greif bedeutet die Sommerausstellung einen willkommenen Break. Sie hätte die Galerie auch schließen können, um wie andere dem Kunstbusiness mal für ein paar Wochen zu entfliehen. Doch da hat dann vielleicht auch die Kunsthistorikerin gesiegt. Sich durch eine eigene Ausstellung aufklären zu lassen ist doch viel angenehmer, als irgendwann das Scheitern selber erfahren zu müssen.

Galerie Jette Rudolph, Zimmerstr. 90/91, Aufgang A2. Ausstellung „Niemals Scheitern!“ bis zum 31. 8., Di.–Fr. 12–17.30 Uhr