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Moskau will Zensur abschaffen

■ Diskussion in Parteihochschule über neues Pressegesetz in Sowjetunion / Auch Einzelpersonen sollen Zeitungen herausgeben dürfen / Angst vor „Amerikanisierung“ und „Kommerzialisierung“

Moskau (afp) - Die Moskauer Parteihochschule hat am Freitag in Anwesenheit von ausländischen Journalisten über ein neues Pressegesetz diskutiert, das am 23. Oktober erstmals dem Obersten Sowjet vorgelegt werden soll. Der Gesetzesvorschlag sieht vor, daß in Zukunft „Parteien, Organisationen oder Einzelpersonen“ Zeitungen herausgeben dürfen, gab der Abgeordnete Michail Poltoranin an. Außerdem solle die Zensur und die Vorabgenehmigung von Publikationen abgeschafft werden. Letztere werde durch eine „Registrierung“ der neuen Titel ersetzt.

Der liberale Vorschlag löste eine heftige Diskussion aus, die überraschend offen geführt wurde. Poltoranin kritisierte es als Manipulation der öffentlichen Meinung, daß Gewerkschaften in der vergangenen Woche eine Demonstration gegen die Genossenschaften veranstaltet hatten. Ebenso wandte er sich gegen ihre entsprechenden Anträge im Parlament. Einzig die Regierungszeitung 'Iswestija‘, die Zeitung des Kommunistischen Jugendverbands 'Komsomolskaja Prawda‘ und die 'Moskau News‘ hätten ihre Absicht entlarvt und angeprangert. Er nannte diese drei Zeitungen die einzigen, die Gorbatschow unterstützten.

Außerdem verurteilte Poltoranin die Entscheidung des Politbüromitglieds und Chefideologen Wadim Medwedew, zwei Industriezeitungen zusammenzulegen, um aus ihnen das „Organ der Vereinigten Arbeiterfront“ zu machen. Dabei handelt es sich um eine neue Organisation, die mit Unterstützung der Gewerkschaften ins Leben gerufen wurde und ein konservatives Gegenstück zu den verschiedenen reformorientierten Volksfronten bilden soll.

„Man will uns erneut in Weiß und Rot einteilen und wieder Arbeiterbrigaden bilden“, kommentierte der Parlamentarier Wladimir Samarin. Ein anderer Abgeordneter des Obersten Sowjet widersprach den beiden Parlamentariern des Reformerflügels und sagte: „Die Presse kann nicht vollständig liberalisiert werden, ihre Zukunft hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wenn die Joint-ventures sich durchsetzen, wird sie amerikanisiert. Wenn es die Kooperativen sind, wird sie kommerzialisiert. Man muß die Probleme im Klassenzusammenhang sehen.“

Besonders die älteren Teilnehmer der Diskussion applaudierten dazu heftig. Die rund hundert anwesenden Studenten spendeten eher „gewagteren“ Einwürfen Beifall, ohne jedoch in die Debatte einzugreifen. Als die Diskussion das Thema „Mehrparteiensysteme“ aufgriff, wurde sie vom Vorsitzenden der Parteihochschule rasch beendet.

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