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Moskau vertagt sein Njet zur Nato

Bei den ersten 2+4-Gesprächen in Bonn bekräftigt Schewardnadse das Nein der Sowjetunion zur Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands / Kompromißbereitschaft jedoch signalisiert / Fragen der Sicherheitspolitik und der Vereinigung können zeitlich voneinander getrennt werden  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Welche bündnispolitischen Folgen die Vereinigung von DDR und Bundesrepublik Deutschland hätte, ist nach den ersten sogenannten Zwei-plus-vier-Verhandlungen weiterhin unklar. Die Außenminister der vier Siegermächte und der beiden deutschen Staaten konnten sich am Samstag in Bonn bei ihren Gesprächen über die außenpolitischen Folgen der Wiedervereinigung konkret nur auf einen Zeitplan für die nächsten Treffen einigen. Vereinbart wurde auch, daß man Polen hinzuzieht, wenn darüber verhandelt wird, in welcher Form Deutschland Polens Westgrenze endgültig garantiert.

Aus dem Treffen zog Außenminister Genscher die Folgerung, daß die Regelung der sicherheitspolitischen Fragen und die Verwirklichung der deutschen Einheit nicht zeitgleich vollzogen werden müssen.

In der strittigen Bündnisfrage beharrten die Westmächte darauf, daß ein wiedervereinigtes Deutschland Mitglied der Nato sein müsse. Zu Beginn der Sitzung hatte Genscher unwidersprochen gewarnt, ein vereintes Deutschland außerhalb der Nato sei „kein Gewinn für Europa.“ Der sowjetische Außenminister Schewardnadse bekräftigte zwar das Nein der Sowjetunion zur Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands. Allerdings ließ er erkennen, daß die Sowjetunion kompromißbereit sei.

Für sein Land, so Schewardnadse in der Sitzung, sei die Nato weiterhin ein gegnerischer Militärblock mit unveränderten Doktrinen. Bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen fügte Schewardnadse jedoch hinzu, daß die Verhandlungen vom Samstag den „Anfang eines komplizierten, andauernden Prozesses“ darstellten. Er sei sich sicher, daß man eine Lösung finde, die im Interesse von Ost und West liege. Nach Darstellungen aus der sowjetischen Delegation hatte Schewardnadse nach Bonn Vorschläge für einen Kompromiß mitgebracht: Demnach ist die Diskussion über eine Nato -Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands denkbar, wenn die Nato -Doktrin sich grundlegend ändert.

Aus den Äußerungen von US-Außenminister Baker wurde deutlich, daß die Sowjetunion bei der Klärung möglichst vieler, in Zusammenhang mit der Vereinigung anfallender Fragen nicht einbezogen werden soll. So darf nach dem Bekunden Bakers am Samstag vor der Presse in Bonn die Deutschlandfrage nicht „singularisiert“ betrachtet werden: Probleme mit Auswirkungen auf andere Staaten, deren Behandlung nicht bei den Vier Mächten liege, müßten dort besprochen werden, wo sie hingehörten. Die Bundesrepublik sei Teil der Nato, und über ihre Streitkräfte werde nur in enger Konsultation mit den Verbündeten entschieden.

Unterschiedliche Ansichten über die Form der Anerkennung der Westgrenze Polens bekundeten nach dem Treffen die Bundesrepublik und die DDR. Genscher sprach sich wiederholt für eine gemeinsame Erklärung beider deutscher Parlamente aus. Sein Amtskollege Meckel unterstützte Polen, das einen paraphierten Grenzvertrag noch vor der Wiedervereinigung wünscht.

Insgesamt gaben sich die sechs Außenminister mit dem Treffen sehr zufrieden. „Der Kalte Krieg ist vorbei“, sagte Eduard Schewardnadse. Der Brite Hurt sprach sich dafür aus, daß die Wiedervereinigung so schnell wie möglich im Rahmen eines geeinten Europa stattfinde. Von einer „bemerkenswerten Übereinstimmung“ der sechs Außenminister in der Würdigung des KSZE-Prozesses berichtete Hans-Dietrich Genscher.

Nach Einschätzung von Genscher hat die Konferenz auch noch folgendes wichtiges Ergebnis gebracht: die Deutschen könnten über die Vereinigung selbst entscheiden, auch was den Zeitpunkt betrifft. Schewardnade habe den Gedanken einer Übergangsperiode eingebracht. Der sowjetische Außenminster soll gesagt haben: „Nach unseren Vorstellungen braucht die Regelung der inneren und äußeren Aspekte der Einheit nicht unbedingt zeitlich zusammenzufallen.“

Die nächsten Treffen sollen im Juni in Berlin, im Juli in Paris (hier wird Polen dabeisein) und Anfang September in Moskau stattfinden.

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