ROTE ERDE : Morde, Morde, Morde
ANDREAS RÜTTENAUER
Am Anfang war die Angst. Ein ausgeraubtes Fernsehteam, portugiesische Journalisten, die in ihrer Lodge ausgeraubt wurden, und jede Menge Statistiken im Hinterkopf über Morde, Morde, Morde. Und dann ist es doch wie immer. Ankunft in Johannesburg. Mit dem Medienbus zum Stadion. Ein erster Blick auf Soccer City. Das sieht ja wirklich so aus wie auf den Bildern, die man seit Wochen kennt. Keine bahnbrechende Erkenntnis. Akkreditierungszelt. Dort werden die wichtigen Plastiklätzchen ausgegeben. Dazugehören. Jetzt darf man rein in die Fifa-Welt. McDonald’s betreibt ein Café im Medienzentrum. Die WM-Welt ist, wie die WM-Welt eben ist. Deutschland wird Weltmeister. Ein Kollege ist sich ziemlich sicher. Und wer soll bei den Südafrikanern die Tore schießen? Abgeklärte Aufgeregtheit vor dem Eröffnungsspiel.
Und dann wieder Angst. Der Bus kommt nicht, und die Sonne ist schon fast nicht mehr zu sehen. Allein in der Dunkelheit im Stadtzentrum. Wo sind eigentlich die Fans? Sie wissen auch, dass mit Einbruch der Dunkelheit die Stadt ihr Gesicht verändert. Aus wartenden Menschen am Straßenrand werden finstere Gestalten. Morde, Morde, Morde. Durchatmen. Da vorne steht ein Taxi. Kutscherlatein: Wenn es dunkel ist, dann darfst du über rote Ampeln fahren; wenn du stehen bleibst, dann werfen sie drei Eier auf die Windschutzscheibe, soass du die Orientierung verlierst; und dann bringen sie dich einfach um. Beruhigung: Aber das ist alles nicht mehr so schlimm, seit die Polizei zurückschießt – gut so.
Argentinien gegen Nigeria. Messi trifft einfach nicht, Argentinien gewinnt trotzdem, und Maradona war schon vor dem ersten Spiel seiner Mannschaft ein Vollidiot. Lustig. Nordkorea spielt ja wirklich mit. Ein paar Spieler fehlen der Mannschaft. Die Medienmeute hechelt und ist sicher: Da haben sich die ersten abgesetzt. Siegerlachen goldener Westler. Waren sie nur krank? Egal, das Siegerlachen verebbt nicht. Noch ein Depp. Otto Rehhagel ist fast so lächerlich wie Maradona. Im Medienzelt ist die Stimmung gut. Deutschland packt es nicht. Ein Kollege ist sich ziemlich sicher. Frankreich blamiert sich und Südafrika scheidet aus. Beerdigung der WM-Stimmung. Ende der Vorrunde.
Sportjournalisten auf Townshiptour. Arme Neger frieren in Blechhütten. Schlimm. Football for Hope. 1Goal, With Africa for Africa. Der Blatter-Sepp wird es schon richten. Sportjournalisten auf Thesentour. Jeder weiß, warum die Afrikaner scheitern. Klar, dass die Südamerikaner so gut sind. Logisch, dass sich am Ende die Europäer durchgesetzt haben. Schiedsrichter. Blatter. Manipulation. Videobeweis. These: Die Engländer waren einfach zu alt. Die freiwilligen Helfer sind freundlich. Aber alles dauert so lange. Typisch Afrika. Sportjournalisten als Völkerkundler. Vor vier Jahren war alles besser. Sogar das Wetter. Nach der WM soll es ja richtig abgehen. Zimbabwe und so. Die stecken dann die Leute in Autoreifen und zünden sie an. Egal. Hauptsache, Italien ist draußen. Und Brasilien. Sehnsucht nach Samba. Das wenigstens ist genauso wie 2006. Genauso gut.
Durchatmen in Kapstadt. Warum gefällt es hier allen so gut? Meer, Hafen, Tafelberg und auch die Menschen sind irgendwie anders als in Johannesburg. Es war ein Ausflug nach Europa. Blütenweiße Stadt. Postkartengrüße in die Heimat und frischer Fisch vom Grill an der Waterfront. Da ist es schön! 4:0! Deutschland wird Weltmeister. Ein Kollege ist sich ziemlich sicher. Velmore. Luxus für die Deutschen in sandiger Steppe bei Johannesburg. Ein blauer Pullover und ein Tintenfisch. Deutschland ist im Halbfinale, und endlich sind die großen Themen da. Tintenfische haben neun Hirne. Ein Pullover hat da keine Chance. Präsident Zuma will Olympia nach Südafrika holen. Sepp Blatter fände das prima.
Moderne Stadien. Bunte Plastiksitze. Umfangreiches Statistikmaterial. Nur 16 Prozent der Angriffe kommen über links. Kein Wunder, dass die keine Chance haben. Wie viele Frauen hat eigentlich Jacob Zuma? Vicente del Bosque soll ein Linker sein und in einem Neubaugebiet von Madrid wohnen. David Villas Urgroßvater hieß Trotzky, seine Oma Libertad. Zusammengegoogelte Portäts. Spanien wird Weltmeister. Ein Kollege ist sich ziemlich sicher. Kater. Bier in Melville. Da kann man richtig weggehen in Johannesburg. Spaziergang durch Soweto. Ein Bier im Luxushotel am Walter-Sisulu-Square. Blut auf dem Bürgersteig davor. Ein Zigarettenhändler wurde angeschossen, weil er keine Kippe verschenken wollte. Arme Sau.
Rückflug nach Deutschland ist erst am Dienstag. Wilde Tiere schauen am freien Tag? Südafrika ist so schön. Das mit den Parkscheinen hat diesmal überhaupt nicht geklappt. Wie soll man nur zur finalen Show kommen? Am Ende passiert doch noch etwas. Morde, Morde, Morde. War es ein Fehler, die WM nach Südafrika zu vergeben? Der Weltmeister kommt aus Europa. Das ist sicher.