Mord an Olof Palme vor 34 Jahren: Eine Lösung, die keine ist
Die Ermittlungen zum Mord des früheren Regierungschefs haben ein Ende gefunden. Doch wer auf handfeste Beweise hoffte, wird enttäuscht.
Was im Verlauf der zweistündigen digitalen Pressekonferenz des Leiters der Palme-Ermittlungen wuchs, war dann nicht die Spannung, sondern die Ernüchterung. Die meisten ZuschauerInnen dürften sich gefragt haben: Was hatte sich Oberstaatsanwalt Krister Petersson eigentlich dabei gedacht, als er vor einigen Wochen mitteilte, man sei sich jetzt sicher, den Mörder gefunden zu haben? Es gebe technische Beweise, mit denen er an die Tat gebunden werden könne, hatte er damals bekanntgegeben. Musste das nicht die Tatwaffe mit seinen Fingerabdrücken oder eine DNA-Spur sein?
Nein, Petersson präsentierte weder Beweise noch eine schlüssige Indizienketten. Er präsentierte eine bloße Theorie, was sich an diesem kalten Freitagabend, dem 28. Februar 1986, um 23.21 Uhr an der Kreuzung Sveavägen/Tunnelgatan in Stockholms Innenstadt abgespielt haben könnte. Nach mehreren JournalistInnenfragen räumte er auch selbst betreten ein: „Mehr haben wir eben nicht. Und wir glauben auch nicht, dass man nach all den Jahren noch mehr finden kann.“
Unter Berücksichtigung aller anderen Spuren sei die Anklagebehörde jedenfalls zur Überzeugung gelangt, dass der Mann, der mit einem Schuss Olof Palme auf offener Straße getötet und dessen Ehefrau Lisbeth mit einem zweiten verletzt habe, Stig Engström gewesen sei. An ihm „kommt man nicht vorbei“, sei er doch unzweifelhaft in unmittelbarer Tatortnähe gewesen. Sein Äußeres habe zumindest teilweise mit der Beschreibung mehrerer Zeugen über den Mann übereingestimmt, der nach den Schüssen vom Mordplatz weggerannt sei.
Ein eiskalter Spieler
Sollte Engström wirklich der Täter sein, müsste der 52-jährige Versicherungsangestellte ein eiskalter Spieler gewesen sein. Stunden nach der Tat meldete er sich am Samstagmittag bei der Polizei: Er habe da eine Täterbeschreibung im Radio gehört, die auf ihn zutreffe. Weil er es aber nicht gewesen sei, solle die Polizei das mal schleunigst korrigieren, sonst gehe die Fahndung ja in die völlig falsche Richtung. Mit der gleichen Geschichte meldete Engström sich anschließend bei der Tageszeitung Svenska Dagbladet, die in ihrer Sonntagsausgabe einen Text plus Foto veröffentlichte und ihn als wichtigen Tatzeugen präsentierte, der zwei Minuten nach den Schüssen vor Ort gewesen sei.
Ein paar Wochen später demonstrierte Engström für den Fernsehsender SVT eine Rekonstruktion der Situation in der Mordnacht. Er beschwert sich über die Polizei, die seine Aussagen nicht ernst nehme und rennt dann im Outfit, das dem in dieser Nacht entsprach – halblanger dunkler Mantel, Schiebermütze und am Handgelenk ein Handtäschchen – den Sveavägen entlang. Exponiert sich ein Täter wirklich derart? Obwohl er damit doch höchste Gefahr läuft, dass bei Tatortzeugen die Überzeugung wachsen könnte: „Ja, der war es tatsächlich!“?
Psychologen halten das für vorstellbar: Es gebe Täter, die diesen Kick bräuchten oder eigentlich überführt werden wollten. Blieben die Fragen nach Tatwaffe und Motiv, für die die Staatsanwaltschaft keinerlei Erklärung lieferte.
Man könne natürlich nichts ausschließen, sagt der emeritierte Kriminologieprofessor Leif GW Persson. Aber nach den Indizien, die die Anklage präsentiert habe, solle das Szenario folgendermaßen aussehen, erklärt der Kriminologe: „Engström kommt aus dem Büro auf die Straße, sieht Palme, denkt „den erschieße ich jetzt mal“, er hat offenbar immer auch eine Waffe so groß wie ein kleines Ferkel dabei, er erschießt Palme, rennt weg und kehrt ein paar Minuten später ganz cool zum Tatort zurück.“ Wie realistisch sei das?
Engström wurde lange als Wichtigtuer abgetan
Obwohl eine Zeugin tatsächlich einen vom Tatort fliehenden Mann mit einer auf Engström passenden Personenbeschreibung geschildert hatte – etwa 180 groß, Schiebermütze, eine Männerhandtasche – kam Engström für die Polizei nicht als Täter in Frage. Trotz oder wegen ständig wechselnder Aussagen wurde er als Wichtigtuer abgetan, der die Ermittlungen nur störe. Familienangehörige sowie Nachbarn in dem Villenvorort, in dem er 20 Jahre lebte, halten seine Täterschaft für nicht vorstellbar. Er selbst kann nicht mehr gefragt werden. Er wurde vor 20 Jahren tot im Bett gefunden, neben ihm leere Whiskyflaschen und leere Packungen Schmerztabletten.
Der Staatsanwaltschaft gilt Engström als Einzeltäter. „Wir haben jedenfalls nichts gefunden, was auf eine Konspiration schließen lassen könnte“, betont der Oberstaatsanwalt Petersson. Es ist der zweite Einzeltäter, den die Anklagebehörde in den 34 Jahre langen Ermittlungen als Palme-Mörder präsentiert. Mit dem ersten hatte sie wenig Glück. 1988 erhob sie Anklage gegen den drogenabhängigen Kleinkriminellen Christer Pettersson. Lisbeth Palme glaubte ihn bei einer strafprozessual fragwürdigen Gegenüberstellung als Täter identifizieren zu können. In erster Instanz verurteilt, wurde er 1989 von der Berufungsinstanz gerade wegen Zweifeln an dieser Identifizierung freigesprochen. Einen Wiederaufnahmeantrag gegen Pettersson lehnte der Oberste Gerichtshof 1997 ab.
Von den zahlreichen Theorien, die von Anfang an hinter dem Palme-Mord gerade keinen Einzeltäter, sondern ein politisches Komplott vermuteten, sind jetzt vor allem noch zwei übriggeblieben: Die Südafrika- und die Polizei-Spur.
Die Südafrika-Spur verdächtigt den südafrikanischen Geheimdienst der Tat, weil kein westlicher Staatschef die Apartheidpolitik so scharf kritisierte wie Palme. Noch eine Woche vor seiner Ermordung hatte er sie mit Hitler und dem Massenmord in den KZ's verglichen. Unter Palmes Regierungszeit stand Schweden an der Spitze der Länder, die eine stetige Ausdehnung der UN-Sanktionen gegen Südafrika forderten. Petersson griff die Spur am Mittwoch auch selbst auf: Die Staatsanwaltschaft halte die für durchaus interessant, aber diese Spur habe sich „nicht weiter konkretisieren“ lassen.
Die Dartscheibe im Parteibüro trug ein Foto Palmes
Für die Polizei-Spur, die von einer Anti-Palme-Konspiration innerhalb von Polizei, Geheimdienst und Militär ausgeht, könnte es womöglich sogar Verbindungen zu Engström geben. Als Mitglied eines Schützenvereins konnte er mit Waffen umgehen und war in Täby Lokalpolitiker der konservativen „Moderaten“. Einer Partei, in der der „Palme-Hass“, wie er seinerzeit in den Medien genannt wurde, weit verbreitet war. Die Dartscheibe im lokalen Parteibüro in Täby war mit einem Foto Palmes versehen: Ein Treffer auf die Augen gab den höchsten Wert.
Das Bild Palmes als eines „Volksverräters“, der Schweden an die Sowjetunion „verscherbeln“ wolle, war gerade in Militär- und Polizeikreisen weit verbreitet. „Wir hatten eben ein Polizeikorps, das das Mordopfer verabscheute und sich entsprechend anstrengte“, sagt der Jurist und Autor Thomas Engström. Er spricht von einem „vollendeten Staatsstreich“.
Der Ex-Armeeangehörige Engström verkehrte regelmäßig in Kreisen hoher Offiziere. Auch in solchen mit Verschwörungsabsichten? Aber würde eine Konspiration sich ausgerechnet eines Mannes wie Engström bedienen? Und welchen Zusammenhang gibt es möglicherweise mit der Tatsache, dass die Skandia-Versicherung, bei der Engström arbeitete, die Zentrale der schwedischen Sektion von „Stay Behind“ beherbergte – der geheimen paramilitärischen Untergrundorganisation von CIA und NATO? 34 Jahre sind vermutlich eine zu lange Zeit, um solche Fragen noch klären zu können.
Gegen einen Toten kann kein Prozess geführt werden. Weil für die Staatsanwaltschaft nun die Täterschaft Engströms feststeht, gegen ihn aber keine Anklage mehr erhoben werden kann, sind damit gleichzeitig alle Ermittlungen im Mordfall Palme abgeschlossen. Kein Gericht wird sich je mit dem Palme-Mord befassen. Am Ende steht damit eine „Lösung“, die eigentlich keine ist und die vor allem die bestätigen wird, die von Anfang an vermuteten, der oder die wahren Täter sollten überhaupt nicht gefunden werden. „Besseres Futter für Konspirationstheoretiker kann es eigentlich gar nicht geben“, sagt Leif GW Persson.
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