: Moral ist wichtiger als Geld
Karl-Heinz Wildmoser, großmächtiger Präsident von 1860 München, will den Spieler Manfred Schwabl vergraulen, doch der wehrt sich ■ Aus München Thomas Hahn
Es ist nicht viel Zeit, kaum mehr, als Manfred Schwabl braucht, um sein großes Glas Apfelschorle auszutrinken. Ein paar Fragen und auf Wiedersehen. Der nächste Reporter sitzt schon mit am Tisch im schmucklosen Café nahe Schwabls Arbeitsplatz, dem Trainingsgelände des Fußball- Bundesligisten TSV 1860 München. Aber viel Zeit wird auch der nicht bekommen. Schwabl muß weiter. Zum nächsten Interview, ins Fernsehen. Es soll das letzte sein an diesem Montag, der für den 31jährigen der arbeitsreichste gewesen sein dürfte in seiner 13 Jahre währenden Profi-Karriere; vorher schon mußte Schwabl sich Journalisten stellen. Und trainieren natürlich auch. Zweimal. Schließlich ist er Fußballer, kein Redner.
Das hat Schwabl immer so gesehen. Von Interview zu Interview zu hetzen, entspricht eigentlich nicht seiner Art. Aber es muß wohl sein an diesem Tag. Es ist der erste, an dem er öffentlich redet darüber, wie es kommen konnte, daß er nach drei Jahren guter Arbeit, meist als Kapitän, mittlerweile nicht einmal mehr Testspiele bestreiten darf. Eisern hatte er geschwiegen, seit Trainer Werner Lorant und Präsident Karl-Heinz Wildmoser beschlossen haben, ihn zu vergraulen wegen eines lächerlichen Streits um die jüngste Saisonabschlußfeier. Vorbei. Im kicker ergiff Schwabl zuerst das Wort. Jetzt wollen ihn alle.
Schwabl ist müde. Seine knarzende Stimme klingt kraftlos. „Im kicker steht alles drin“, sagt er. Die Fragen sind doch immer die gleichen. Aber man will eben aus seinem Munde noch einmal hören, was er dort erzählte. Und vielleicht noch ein bißchen mehr. Denn das war die eigentliche Hoffnung der Journalisten: Daß er seine Demontage mit kernigen Enthüllungen vergelten werde. Aber das hat Schwabl nicht getan. Sachlich ist er geblieben, hat ordentlich die Fakten der mißlichen Affäre aufgezählt. Geschimpft hat er nicht und auch nicht mit dem Schicksal gehadert. Nur einmal ist er deutlich geworden: „Ich will meinen Zweijahres-Vertrag erfüllen.“
Zäh ist Schwabl schon immer gewesen, kein Riese von Gestalt, eher schmächtig, aber mit unermüdlichem Kampfgeist begabt. Wenn er in der Bundesliga spielte, sah das manchmal so aus, als habe ein F-Schüler sich in der Altersklasse geirrt. Seine Gegner hat er trotzdem meistens in Schach gehalten. Aber diesmal? Noch nie hat Lorant eine Entscheidung rückgängig gemacht, und wen Wildmoser von seinem Hof jagen wollte, der hat es dort nie lange ausgehalten. Schwabl kümmert das nicht. Mit einer üppigen Abfindung wollte der Präsident ihn abspeisen. Schwabl lehnte ab. „Die moralische Frage ist mir wichtiger“, sagt er.
Das hört man nun doch eher selten, daß ein Fußballprofi sich aus moralischen Gründen gegen einen erklecklichen Batzen Geld und Sorgenfreiheit entscheidet. Und man hört es mit Mißtrauen, weil es so gar nicht zu dem Berufsstand passen will. Sind die Zeiten nicht vorbei, in denen das Engagement für einen Verein noch Herzenssache war?
Für Schwabl nicht. Als ein Mann mit Prinzipien gilt er: Fleiß und Ehrlichkeit haben sein Tun stets bestimmt, was ihm einen Ruf als disziplinierter, loyaler Mannschaftsspieler einbrachte. Auch bei 1860. Und Schwabl fragt sich deshalb: „Warum mich absägen?“ Gute Frage.
Schlüssig haben sie bisher nicht einmal Lorant und Wildmoser beantwortet. Zu unbequem ist Schwabl eben geworden als Kapitän, der gegen das Präsidium die Belange der Mannschaft vertrat, was Schwabl nun doch ein wenig entrüstet: „Das ist doch wohl üblich in einer Gemeinschaft.“ Interne Kritik hat er schließlich stets vertraulich behandelt. Aber die kurzfristig angesetzte offizielle Vereinsfeier, die er schwänzte, weil die Spieler längst eine eigene Party geplant hatten? „Vom Rechtlichen her wäre es besser gewesen hinzugehen“, sagt Schwabl, „vom Moralischen her nicht.“ Damit war es für ihn auch kein Fehler.
Sein Gerechtigkeitssinn treibt Schwabl, den allmächtigen 1860-Chefs zu widerstehen. Daß die Anhänger, die ihn längst zum festen Bestandteil der 1860-Family zählen, ihn in Umfragen und Briefen unterstützen und beim Trainingsauftakt demonstrativ bejubelten, hat ihn bestärkt. Schwabl will weiterarbeiten bei dem Klub, den er vom Abstiegskandidaten zum Uefa-Cup-Teilnehmer päppeln half. Eine Lösung muß her, findet Schwabl, „damit der Verein keinen Schaden nimmt“.
Er meint es ernst. Seine Position als geschaßter Kapitän im Kampf gegen Trainer und Präsident genießt er jedenfalls nicht sonderlich: Eigentlich will Schwabl nur Fußball spielen. Seine Form ist ihm wichtig, weshalb ihn ärgert, daß er zuletzt viermal am Tag mit seinem Anwalt telefonieren mußte: „Das ist natürlich nicht gut für den Sportbereich generell.“ Schwabl bleibt gnadenlos nüchtern. Die Situation insgesamt? Ja mei. „Es ist halt mal passiert, man muß dem auch was Positives abgewinnen.“ Und die Demütigungen? Training mit der Regionalliga-Mannschaft, ausgetauscht die angestammte Nummer 8 gegen die 35? „Es gibt Schlimmeres“, antwortet Schwabl leise. Zum Beispiel nie mehr für 1860 spielen zu dürfen.
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