: Monarchie-Melancholie & die Di
■ Wo nur war Prince Charles am Freitag mit seinen Gedanken?
Berlin (taz) – Doris Rheinländer ist so alt wie Queen Elizabeth – 68 Jahre – und jobt als Kiosk-Aushilfsverkäuferin im Berliner Stadtteil Neukölln-Britz. An diesem Freitag, als der Prince of Wales Berliner Boden beehrt, bleiben ihre Hände von Druckerschwärze verschont: „Meine Schicht habe ich mit meiner Kollegin getauscht. Die Dumme war gleich einverstanden! Die liest den ganzen Tag Zeitungen und weiß nicht, daß Prinz Charles kommt.“
Das tägliche Studium der Yellow Press muß Frau Rheinländers Geschmack durcheinandergebracht haben. Sie trägt ein grob groß geblümtes Kleid mit weißem Spitzenkragen, den eine Perlenkette zusammenrafft. Ihre Haare hat sie blond getüncht, ihre Augenbrauen nachgezogen. Das vollschlanke Gesamtkunstwerk Doris Rheinländer endet mit einem Paukenschlag, das heißt auf himmelblauen Pumps. „Mir tun jetzt schon die Füße weh“, nuschelt sie und bückt sich, woraufhin ihr Strohhut sacht verrutscht.
Der Thronfolger, der zum letzten Mal die große Parade der britischen Truppen in Berlin abnehmen wird, soll um 18 Uhr auf dem Maifeld eintreffen, einer gigantischen Wiese vorm Olympiastadion. Es ist erst Viertel vor fünf; Frau Rheinländer wollte sich einen guten Platz sichern.
Sie sieht englische Damen auf Pennyabsätzen im Wimbledon- Rasen versinken, was sie in bedrohliche Schräglage versetzt; steife Lieutenants mit Babies im Arm, als trügen sie Ziegelsteine; pummelige Glasgow-Gören, die auf die VIP-Tribüne zurasen. All die anderen 3.000 deutschen Geburtstagsgäste – denn die Fallschirmspringer, Hubschrauberpiloten und Dudelsack-Musikanten geben ihr Bestes, weil Queen Elizabeth am 21. April ihren Geburtstag feierte – hocken auf schnöden Rängen. (Unter ihnen zwei distinguierte mittelalte Gentlemen, Kamin-Schwule aus Manchester, denn ihre Namen konnte man auf keiner VIP-Liste finden. So müssen sie inmitten von Sozialhilfeempfängern und Frührentnern stehen, und einzig Monarchie-Melancholie eint sie mit dem Volk.) Um 18 Uhr 02, antiprotokollarisch öffnet der Himmel über Berlin seine Schleusen, erscheint Prince Charles. Und Frau Rheinländer stellt mit Entsetzen fest, daß sie ihre Kamera vergessen hat. Vor Aufregung kleckert sie ihr Cornetto- Erdbeer aufs Kleid.
Militärisches Zeremoniell hat Englands Thronfolger bei Royal Air Force und Royal Navy studiert; die Parade-Abnahme vollzieht er formvollendet unter einem Baldachin und im offenen Papstmobil. Der spröde Sozialaktivist, erkennt Frau Rheinländer durchs Fernglas, ist an diesem Freitag die „Zufriedenheit in Person“. Und mit seinen Gedanken woanders. Die belesene Kiosk-Aushilfe weiß, wo: Bei Lady Diana. frau aktuell erfuhr letzte Woche, Diana und Charles „sind wieder glücklich und haben ihre Liebe neu entdeckt“. Denn Diana (32) sei schwanger und „wird ihrem Mann Charles (45) noch ein Baby schenken!“ Bleibt nur noch die Frage, die auch frau aktuell treffsicher formuliert: „Warum bekennen sich Charles und Diana nicht endlich offiziell zum Neubeginn ihrer Ehe?“ Thorsten Schmitz
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