piwik no script img

Momper-Paß

Nationalhymne in Schöneberger Rathausfassung  ■  B U N D E S D E U T S C H E R M A U E R B L I C K

In einem gemeinsamen Feiertag von Bundesrepublik und DDR am 9. November kann nach den Worten von Bundesinnenminister Schäuble durchaus etwas Positives liegen. Der Bonner Fraktionsjunior FDP kann der Idee aber wenig abgewinnen, war doch der 9. November auch das Datum der Kapitulation des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, des Hitler-Marsches auf die Feldherrenhalle und der Reichspogromnacht. FDP-Chef Lambsdorff: „Die Gesammtkombination gefällt mir nicht.“

Am Freitag hatte Kanzler Kohl bei seinem Auftritt vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin die Melodie der Nationalhymne nicht ganz getroffen. Die Bonner Grünen waren begeistert und fordern seither, daß nur noch die Schöneberger Rathausfassung als die aktuelle Version in der Besetzung mit Schlagerstar Kohl zum Programmschluß des Fernsehens ausgestrahlt werden dürfe.

36.000 Liter Sprit sind unterdessen an den grenznahen Autobahntankstellen kostenlos an die Besucher aus der DDR abgegeben worden. Ein Oldenburger Autohändler erklärte für seine Branche, daß künftig auch Trabis in Zahlung genommen werden. Die realsozialistischen Dreckschleudern ließen sich künftig als Ersatzteillager nutzen.

Die SPD ist in der Forderung nach einer Vier-Mächte -Konferenz unter Beteiligung beider deutscher Staaten uneins. Egon Bahr nannte das Ansinnen sehr wichtig, sein Fraktionskollege Norbert Gansel sieht in der Beteiligung der Siegermächte allerdings eher einen Mangel an innerer Souveränität. Einig zeigen sich die Sozialdemokraten aber in ihrem Wunsch nach dem runden Tisch. Nach der Kritik des Kanzlers räumte Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs jedoch ein, daß man dem Möbel einen anderen Namen geben könnte, zum Beispiel konzertierte Aktion. Die CSU hat jetzt wie die SPD die Deutschlandpolitik auf die Tagesordnung für den kommenden Parteitag gesetzt. Sie soll zentrales Thema werden.

Bundespräsident Weizsäcker weilte gestern ebenso wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm zu einer Stippvisite in der Hauptstadt der DDR. Was Weizsäcker nicht hatte, hatte Engholm: den Momper-Paß. Nachdem das Nordlicht seinen Reisepaß vergessen hatte, formulierte der Berliner Regierende auf der Rückseite eines Flugblattes die Bitte, seinen Parteigenossen am Checkpoint dennoch einzulassen die Grenzer akzeptierten.

In die andere Richtung, ins Bundesgebiet, sind nach Angaben der bundesdeutschen Grenzschützer am Wochenende insgesamt 930.000 DDR-Bürger eingereist. Gestern, bis zum frühen Nachmittag, sind allein in Bayern wieder 32.519 BesucherInnen aus der DDR eingetroffen. Einen Aufnahmeantrag stellten nur 12.850. Die Zahl der in der DDR erteilten Visa hat gestern die Zahl von 4,5 Millionen überschritten.

Aus der Mauer gebrochene Steine werden in Frankreich schon jetzt als Raritäten gehandelt. Die seltenen Stücke werden am Mittwoch in Paris bei den Privatfunkern von Skyrock als Quiz -Preise zu gewinnen sein.

wg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen