: Mörder und Kinderficker steigern Einschaltquoten
■ Italienische Medien zahlen Höchstpreise für Fernsehauftritt von Kriminellen
Rom (afp) - 25 Millionen Lire (34.000 Mark) für einen Triebtäter, zehn Millionen Lire (14.000 Mark) für einen Pädophilen, acht Millionen Lire (11.000 Mark) für den Mörder des Cineasten Pier Paolo Pasolini: Presse und Fernsehen in Italien zahlen immer höhere Preise für die Enthüllungen der „Stars“ unter den Kriminellen, um Auflage und Einschaltquoten in die Höhe zu treiben. In den vergangenen Wochen schossen die „Honorare“ derart nach oben, daß einige der seriöseren Zeitungen die Frage aufwarfen, ob es inzwischen in Italien nicht bereits wegen des finanziellen Profits interessant sei, ein schmutziges Verbrechen zu begehen.
In der Hitparade der hochdotierten Verbrechen nimmt Pietro De Negri einen der vorderen Plätze ein. Es ist genau ein Jahr her, seit der 32jährige Hundescherer einen ehemaligen Boxsportler auf denkbar grausame Art und Weise umbrachte. De Negri hatte sein Opfer an einem Haken aufgehängt und ihn buchstäblich bei lebendigem Leibe zerstückelt. Vor Gericht wurde De Negri für unzurechnungsfähig erklärt. Er wurde im vergangenen Mai frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen; später revidierten die Behörden diese Entscheidung jedoch. Offiziell soll De Negri 25 Millionen Lire (34.000 Mark) dafür kassiert haben, daß er auf dem Fernsehkanal 5 von Silvio Berlusconi von seiner Tat erzählte. Es kursieren jedoch Gerüchte, De Negri habe in Wahrheit die doppelte Summe eingesteckt. „Dieses Geld wird es meinem Klienten erlauben, wenigstens seine momentanen finanziellen Probleme zu lösen“, erklärte einer seiner Anwälte gegenüber der Wochenzeitung 'Epoca‘.
Alessandro Moncini kam vor Gericht, weil er ein zehnjähriges Mädchen gekauft haben soll, um seine sexuellen Begierden zu befriedigen. Der elegante, etwa 40jährige Industrielle wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen und bekam zehn Millionen Lire (14.000 Mark) für Interviews in Presse und Fernsehen. Moncini, dessen pädophile Neigungen allgemein bekannt waren, spendete das Geld einer kulturellen Vereinigung, die zu seiner „Bekehrung“ beigetragen habe.
Der Marktwert der Verbrecher richtet sich nach der öffentlichen Neugier auf ihre Enthüllungen. So bekam der 26jährige Geigenbauer Joe Codino, der die Vergewaltigung von zwölf Frauen zugegeben hatte, „nur“ drei Millionen Lire (4.500 Mark) für einige Fotos in einer Wochenzeitung. Geheim blieb die „Gage“ für den Kanal-5-Fernsehauftritt eines Ehepaars aus Neapel, das verdächtigt wird, sein Kind umgebracht zu haben. Ein Sprecher der Berlusconi-Gruppe erklärte lediglich, man habe eine bestimmte Summe bezahlt, um sich die Exklusivität der Story zu sichern, „wie wir das gewöhnlich tun“.
Die Vorliebe der Fernsehzuschauer für diese Art Bildschirmvergnügen geht einher mit der wachsenden Beliebtheit der Sendung „tele-verite“ (Tele-Wahrheit), einer Serie, die alle möglichen Affären aufgreift, auch Fälle, die vor Gericht noch nicht abgeschlossen sind. Pino Pelosi, der 1975 den Cineasten Pier Paolo Pasolini ermordet hatte, wurden acht Millionen Lire geboten, daß er in der Sendung „Die Wahrheitsmaschine“ unter einem Lügendetektor aussagt. Ein guter Preis für ein Verbrechen, das bereits mehr als zehn Jahre zurückliegt.
Denn damit die Sendungen den größtmöglichen Erfolg haben, greifen die Fernsehsender besonders gern Fälle auf, die gerade erst passiert sind und den Zuschauern noch im Gedächtnis haften. Die italienische Justiz serviert ihnen das Material dazu auf dem Tablett. Nach einem Gesetz vom 5.August 1988, gegen das es inzwischen Proteste gibt, braucht ein Angeklagter nicht im Gefängnis auf den Beginn seines Prozesses zu warten, wenn er nicht gemeingefährlich ist und wenn der Richter nicht befürchten muß, daß er verschwindet oder die Ermittlungen behindert. Weil ein Magistrat Pietro De Negri als nicht gemeingefährlich einstufte, wurde dieser vorläufig aus der Haft entlassen. Seine Freilassung rief aber einen solchen Skandal hervor, daß die Entscheidung schleunigst widerrufen wurde. 1988 wurden in Italien 2.992 Häftlinge vor ihrer Verhandlung auf freien Fuß gesetzt worden. 86 von ihnen waren des Mordes beschuldigt, 13 der Entführung - genug potentielle „Kunden“ für die sensationshungrigen Zeitungen und Sender.
Dominique Chabrol
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