piwik no script img

Modische Damen mit Hütchen

■ Ein jüdischer Maler unterwegs vom Kaukasus nach Tempelhof

Sofort sind mir die Bilder von Alim Rischinaschvili aufgefallen. Es war in der Ausstellung Unsere Kunst haben wir mitgenommen, die Arbeiten jüdischer Neuzuwanderer aus der Sowjetunion noch bis zum 29. Oktober im jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße vorstellt.

Zwischen Stilleben, Landschaften, Portraits, Blumenstücken und Gemälden zu jüdischen Themen trippeln Alim Rischinaschvilis modische Damen mit Hütchen und Hündchen und Kavalieren, als seien sie geradewegs vom Ku'damm auf die Bilder spaziert. Die da in matten Farben im Gespräch oder Tanz vertieft sind, hätten ebenso aus Paris oder Kopenhagen kommen können — Tbilissi, Hauptstadt der Sowjetrepublik Georgien, hätte ich jedenfalls nie vermutet. Von den jahrhundertealten kulturellen Traditionen seiner Heimat hat sich der Maler früh gelöst, arbeitet seit Jahren abstrakt, zählte zur sowjetischen Avantgarde.

»Oh doch, ich liebe Georgien«, beteuert der Künstler, als ich ihn im Wohnheim in Tempelhof besuche. Und die drei Dolmetscher — Marina, seine Frau, die Söhne Lewan (19) und Georgi (15) wiederholen mit Nachdruck: »Wir lieben Georgien!« Und doch haben sie, gemeinsam mit Großvater Emie Rischinaschvili, im Dezember vorigen Jahres ihre Heimat im Kaukasus, ihre Freunde, ihr Zuhause verlassen.

»Nein, verfolgt wurden wir nicht. Aber Juden sind eben nur die zweite, eine schlechtere Klasse. Unsere Welt war einfach zu eng, zu klein. Meine Bilder wurden in Paris und Rom ausgestellt; ich aber konnte nicht dorthin reisen. Arbeiten von mir sind in der Schweiz, in den Vereinigten Staaten, in Japan und in Spanien. Ich möchte endlich die Welt für mich gewinnen — das ist so wichtig für einen Künstler. Ich denke, daß Juden überall Probleme haben, nur nicht in Israel.« Warum also ist er nicht nach Israel gegangen?

»In Israel war ich 1988, in Deutschland zum ersten Mal ein Jahr später. Sicher, Israel ist mein Land. Aber als Künstler ist es dort sehr schwer, sein Brot zu verdienen. Ich glaube, daß es in Deutschland, im Zentrum Europas, leichter ist, als Maler zu arbeiten.«

Alim Rischinaschvilis Optimismus verwundert mich. Zu fünft wohnt er mit seiner Familie in einem Zimmer. Das Wohnheim, in dem nur jüdische Einwanderer leben, ist sorgfältig gesichert. Als ich es betrete, muß ich meinen Ausweis abgeben, erhalte eine Einlaßkarte. Angriffe auf das recht abgelegene Haus hat es nicht gegeben. Die Rischinaschvilis haben zwar ein unheimliches Gefühl wegen der wachsenden Ausländerfeindlichkeit in ihrer Wahlheimat, glauben aber, es beträfe vor allem die Asylbewerber. Haben sie die mit MPs bewaffneten Polizisten vor dem jüdischen Gemeindehaus noch nicht beachtet, nicht bemerkt, daß sich Fremde beim Betreten des Gebäudes einer Taschenkontrolle unterziehen müssen?

Der Wechsel von Tbilissi nach Berlin, das Fertigwerden mit den auf sie einstürmenden Problemen in dieser neuen Welt, verbraucht die Aufmerksamkeit und die Kraft der ganzen Familie. Mutter Marina besucht, wie der ältere Sohn Lewan, einen Deutschkurs. Später, so hofft sie, wird sie ihren Beruf als Klavierlehrerin wieder ausüben können. Lewan hat wohl die größten Probleme. In Tbilissi studierte er am Konservatorium Waldhorn.

Beim Vorspiel hier in Berlin genügten seine Leistungen nicht; und im Wohnheim üben? Lewans Augen sind traurig — seine Freunde in Tiblissi fehlen ihm. Georgi, der eine neunte Klasse besucht, ist besser dran, betont, wie gut er sich schon eingewöhne.

Alim Rischinaschvili hat keine Zeit, zum Deutschkurs zu gehen. Er malt, malt, malt. »In gewisser Weise bin ich in Deutschland wieder ein Anfänger«, sagt der 43jährige. Aber im Dezember wird er bereits die fünfte Ausstellung in Deutschland nach seiner Übersiedlung haben — in der Galerie Avantgarde Kunst in der Leibnizstraße. Der kapitalistische Kunstmarkt, die scharfe Konkurrenz machen ihm keine Angst. »Ich sehe diesen Wettbewerb als Ansporn, als etwas Positives«, sagt er mit glänzenden Augen. »Ich suche nach neuen Stilmitteln, bekomme hier viele neue Eindrücke.« Und er hat Glück gehabt: Ein Berliner Galerist und Restaurator hat ihn in sein Atelier aufgenommen — kostenlos.

In der Sowjetunion hatte Alim Rischinaschvili Publicity, war über seine Heimat Georgien hinaus auch in der Hauptstadt Moskau bekannt. »Hier muß ich mir nun einen Namen machen«, meint er, »das ist das wichtigste. In guten Galerien ausstellen — natürlich zuerst in Berlin. Dann darüber hinaus. Vielleicht brauche in einen Manager?

Manchmal schmerzt es, seine Freunde nicht mehr zu haben. Sergej Paradschanow, der vor kurzem gestorben ist, und Andrej Tarkowski — zwei große Filmregisseure, hatten mir ihre Freundschaft geschenkt. Und viele Malerkollegen... Hier muß ich mir nun ein neues Leben aufbauen.«

Bevor ich mich verabschiede, muß ich noch Selbstgebackenes von Marina Rischinaschvili kosten. Die Gastfreundschaft der Georgier ist sprichwörtlich — daran kann sie nicht einmal eine Gemeinschaftsküche hindern. Constanze Pollatschek

Ausstellung im jüdischen Gemeindehaus Fasanenstraße, bis 29. Oktober

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen