Moderne Parlamentsgebäude: Der Beifall der Massen
Wie sieht aus, worin regiert wird? Totalitäre Regime leisten sich gerne ein Parlament: Am Donnerstag tagt die Volksversammlung in Nordkorea.
Moderne Parlamentsgebäude nähern sich modernen Kunsthallen an. Manchmal, wie etwa bei dem hübschen Liechtensteiner Landtag in Vaduz, wird das Repräsentative zugunsten einer ästhetischen Idee sogar ganz aufgegeben.
Ein Beispiel von bemerkenswerter Scheußlichkeit wiederum ist die Knesset in Jerusalem, wo die Transparenz einer Neuen Nationalgalerie mit der Sinnlichkeit eines Hochbunkers verbunden wurde. Je neuer, desto Glas: Das vollverglaste Europäische Parlament in Straßburg ist theoretisch total transparent, widerspiegelt aber praktisch nichts als die stadtplanerische Ödnis ringsum
Im neuen Berlin wurde dem Reichstag eine Kuppel spendiert. Sie vermittelt die Illusion des Einblicks in die Vorgänge darunter, wo Abgeordnete in fair ausgezirkelten Tortendiagrammen beisammensitzen, womöglich auf Augenhöhe. Dabei wird auch hierzulande simuliert und Wesentliches anderswo entschieden. Vielleicht ist es diese Parallele, die uns eine nordkoreanische Parlamentssitzung mit Ekel, Beileid oder Scham betrachten lässt. Wir wissen, was es darstellen soll, und erkennen den Betrug. Als wärs ein Pappkarton mit aufgekritzeltem Bildschirm und aufgeklebten Knöpfen - und alle tun, als würden sie fernsehen.
In Pjöngjang ist alles inszeniert und kein Platz für Eventualitäten. Es herrscht gleichsam Frontalunterricht. Auf der einen Seite sitzen die 687 Abgeordneten, auf der anderen die eigentlichen Machthaber. Die thronen hinter edelhölzernen Schreibtischen mit viel Beinfreiheit und unter einem erleuchteten Porträt des Staatsgründers und "ewigen Präsidenten" Kim Il Sung, des Begründers der Dynastie und Schöpfers der Juche-Ideologie, eines Sozialismus im eigenen Land abzüglich der im Marxismus-Leninismus ursprünglich angepeilten Weltrevolution.
Wie im Katholizismus ist hier der eigentliche Chef transzendiert, liegen seine Geschäfte einstweilen in den Händen seines Stellvertreters. In Kuba mit dem in die Hinfälligkeit entrückten Fidel und seinem Bruder Raúl herrschen ähnlich seltsame Verhältnisse. Im Parlament präsentiert die erweiterte Familie sich „dem Volk“ wie auf einer praktisch und symbolisch erhöhten Bühne. Dieses funktionale Gefälle zwischen den Entscheidern und ihren Claqeuren findet sich von Havanna über Minsk bis Riad überall, wo ein totalitäres Regime sich noch das altmodische Deckmäntelchen eines Parlaments leistet.
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Drei Parteien gibt es in Nordkorea: Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalreligiöse (also quasi die CDU) sind in einer Einheitsfront gebündelt, eine echte Wahl hat das Volk nicht - es kann die Kandidaten nur bestätigen oder ablehnen. Die Zustimmungsrate beträgt, wie könnte es anders sein, regelmäßig 100 Prozent. Wie auch das Parlament nur dafür da ist, zu 100 Prozent abzusegnen und durchzuwinken, was ihm vorgelegt wird.
Der Dresscode ist dem Anlass angemessen streng, man trägt seriöses Schwarz und applaudiert viel, eigentlich dauernd, sowohl im Stehen als auch im Sitzen. Es ist ein prasselndes, gelegentlich rhythmisches Geräusch von aufreizender Länge, die absolute Hingabe signalisieren soll. So soll es sein, das Scheinparlament agiert als Kollektiv und hat mit sich selbst keine Meinungsverschiedenheiten. Es ist ein lähmend harmonischer Ort gegenseitiger Bestätigung.
Der Diktator resigniert
Eine aus dem Jahr 2007 stammende Aufnahme dieses ameisenhaft in Szene gesetzten Beglaubigungsorgans zeigt eine Masse, die sich durch ihre Choreografie selbst beglaubigt - gegenüber einen mehr als gelangweilten Kim Jong Il, der den stehend applaudierenden Abgeordneten mit zunehmend unwirschen Handbewegungen bedeutet, sie mögen sich wieder setzen - bevor er, wie resigniert, mit leerem Blick dann auch einfach weiterklatscht, was solls. Spaß scheint ihm das nicht zu machen.
Ob nicht überhaupt alle Beteiligten wissen müssten, zu welchem Schauspiel sie da beitragen? Sind das Gläubige oder Zyniker? Bei der Machtfülle der Herrschenden ist es fast rührend zu sehen, dass sie an der Simulation demokratischer Teilhabe und von Massenszenen festhalten, dass sie es durchaus nötig haben, hin und wieder mit Marionetten zu spielen vor einem Publikum, das die Fäden kennt.
Wie sieht aus, worin regiert wird? Das Parlament in Pjöngjang ist ein durchschnittlich deprimierendes Exempel für sozialistischen Klassizismus, überzuckert mit patriotischen Sinnsprüchen, Transparenten der Partei, der Landesflagge und dem Porträt des ubiquitären Übervaters. Eine Abnickbude, aber ein ehrliches Gebäude. Exakt das, was man von einer militaristischen Erbmonarchie mittelalterlicher Prägung erwarten darf, die sich als Stalinismus ausgibt.
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