: Moderne Imame kommen aus Paris
■ Der Leiter einer französischen Moschee hat eine Ausbildungsstätte für muslimische Religionsgelehrte eröffnet
Paris (taz) –In Frankreich sollen erstmals muslimische Religionsgelehrte ausgebildet werden, die ganz in die französische Gesellschaft integriert sind. Zu diesem Zweck eröffnete der Leiter der Großen Moschee von Paris, Dalil Boubakeur, gestern eine theologische Ausbildungsstätte. 40 Studenten, die in Frankreich aufgewachsen sind, werden nun an der Moschee in Sachen Koran, Hadith, arabische Sprache und islamisches Recht ausgebildet. Im ersten Jahr sollen sie auf französisch und danach zunehmend auf arabisch unterrichtet werden. „Wir müssen kompetente Religionsgelehrte ausbilden, die in der ,normalen‘ französischen Kultur gelebt haben, damit sie den Gläubigen in allen komplexen Situationen begegnen und das Ritual leiten können“, sagte Boubakeur.
Rund vier Millionen Muslime leben in Frankreich. Nach den Katholiken bilden sie damit die zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes. Mit Abstand folgen Judentum und Protestantismus. Dennoch ist der Islam auch heute noch ein Fremdkörper im Land. Der französische Staat hat sich bislang weitgehend aus islamischen Religionsangelegenheiten herausgehalten. Dafür rivalisieren ausländische Staaten – vor allem Algerien, Saudi-Arabien, Marokko und die Türkei – um den Einfluß auf die Muslime in Frankreich. Dies gelingt ihnen über die Finanzierung von Moscheebauten, sowie die Entsendung von Religionsgelehrten. So ist die Pariser Moschee seit ihrem Bau vor 70 Jahren personell und finanziell eng mit Algerien verbunden. Die rund tausend Imame in Frankreich stammen alle aus arabischen Ländern. Viele von ihnen sprechen nicht einmal Französisch. Diese Situation wird seit langem von liberalen Muslimen kritisiert. „Wir wünschen uns moderne, offene Imame, die einen Islam unterrichten, der mit unserer Gesellschaft vereinbar ist“, fordert der zum Islam konvertierte frühere Abgeordnete André Billon, Mitbegründer der Gruppe „Islam und Republik“.
Zu der Einrichtung des neuen Instituts wurde Boubakeur durch einen Richtungswechsel in der französischen Politik veranlaßt: Seit zwei Jahren widersetzt sich Frankreich dem traditionellen Wunsch der Muslime, zum Fastenmonat Ramadan zusätzliche Imame aus Ägypten und Algerien nach Frankreich kommen zu lassen. Im Februar verweigerte der damalige sozialistische Innenminister allen 32 Geistlichen die Einreisevisa. Man könne ja nicht Imame aus diesen beiden Ländern kommen lassen, anderen muslimischen Ländern dieses Recht jedoch verweigern, lautete die offizielle Begründung.
Hinter dieser – wie Boubakeur schimpfte – „intoleranten“ Haltung steht der Wunsch, Frankreich vor islamistischen Einflüssen abzuschirmen und die Muslime dem ausländischen Einfluß zu entziehen. Die Initiative der Pariser Moschee ist nicht der erste Versuch, in Frankreich Imame auszubilden. Vor zwei Jahren eröffnete die „Union der Islamischen Organisationen in Frankreich“ in Saint-Leger-de-Fougeret das erste islamische Institut in Frankreich. Doch die bislang 30 Studenten stammen alle aus dem Ausland; weiteren Kandidaten – darunter sechs Albanern – verweigerte Frankreich die Einreise. Es gilt nämlich als sicher, daß die Gründer der Organisation islamistischen Kreisen wie der Islamischen Weltliga und den Muslimbrüdern sehr nahe stehen. Zudem sollen sie mit Petrodollars aus den arabischen Golfstaaten finanziert werden.
Boubakeurs Initiative beendet die Konkurrenz um die französischen Muslime jedoch noch lange nicht. Am Samstag soll in der Pariser Vorstadt Mantes-la-Jolie eine „Islamische Universität Frankreichs“ eröffnet werden. Diese Initiative wird von der „Nationalen Föderation der Muslime in Frankreich“ unterstützt. Sie steht Marokko und der Türkei nahe und bekämpft den Einfluß der proalgerischen Pariser Moschee. Die „Universität“ soll 260 Studierende religiös unterweisen. Die französische Regierung setzt jedoch auf den Moschee-Leiter; Innenminister Charles Pasqua und Kulturminister Jacques Toubon nahmen gestern an den Einweihungsfeierlichkeiten teil. Bettina Kaps
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen