: Mitfahren auf eigene Gefahr
Gleich in drei Prozessen wurde gestern gegen BVG-Mitarbeiter verhandelt – alle waren wegen Körperverletzung im Dienst angeklagt. Das härteste Urteil war eine Strafe von 2.700 Euro
VON CHRISTO FÖRSTER UND LUC CAREGARI
Mario P. hat sich rausgeputzt für den Prozess am Mittwoch vor dem Amtsgericht. Doch auch die akkurat gekämmten Haare und das penibel gebügelte Hemd machen seine Stimme nicht fester. Wie war das noch im September vergangenen Jahres, als ein älterer Herr versuchte, im letzten Moment die abfahrbereite Bahn am Rosenthaler Platz zu erreichen? Fahrlässige Körperverletzung wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Der 39-jährige U-Bahn-Führer spricht bemüht korrekt und aufgeregt zugleich. Er sei schon wütend gewesen, dass jemand nach dem Ertönen der Warnsignale noch in die Bahn springen wollte und in der sich schließenden Tür stecken blieb. Aber dann habe er doch nur helfen wollen. „Ich rannte aus meiner Kabine, riss die Türen mit bloßen Händen wieder auf – und irgendwie fiel der Fahrgast dabei auf den Bahnsteig“, sagt Mario P. vor Gericht. Warum er die Türen nicht einfach per Knopfdruck wieder freigegeben hat, das kann er sich bis heute nicht erklären. Und es kann schon sein, dass es in der ganzen Aufregung auch zu einem Stoß kam, räumte der BVG-Angestellte später ein – ganz unbewusst und ohne jegliche Absicht.
Erst als der schmächtige Fahrgast dann regungslos auf dem Boden lag, muss dem U-Bahn-Führer wohl gedämmert haben, dass er überreagiert hatte. Eine Zeugin hatte einen „Schlag mit voller Wucht“ gesehen und gedacht: „Der Mann ist tot.“ Das war er zwar nicht, doch erlitt er eine Gehirnerschütterung. Mario P. bekam es darauf „mit der Angst zu tun“, vor allem weil die anderen Fahrgäste ihn beschimpften. Er setzte sich mit der BVG-Leitstelle in Verbindung, rief einen Arzt, fuhr dann weiter und ließ sich schließlich zwei Tage vom Dienst freistellen.
Noch heute beschäftige ihn dieser Vorfall, sagt Mario P. Die Richterin hat wenig Mitleid: Sie verurteilt ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro. Mario P. komme mit diesem Urteil glimpflich davon: Die Richterin bezeichnet sein Verhalten als „hart an der Grenze zum Vorsatz“ und weist ihn noch einmal auf das Knöpfchen hin, das die U-Bahn-Türen automatisch öffnet.
Mario P. ist nicht der einzige BVG-Angestellte, der sich am Mittwochmorgen vor dem Amtsgericht verantworten muss. In zwei weiteren Verhandlungen wird Mitarbeitern des Unternehmens Körperverletzung vorgeworfen. Beim ersten Prozess des Tages beginnt die Anhörung schon vor der Tür. Ein Fernsehteam versucht krampfhaft, Zeugen zu finden, die vor der Kamera aussagen. Ohne Erfolg – es gibt gar keinen Zeugen. Hier steht Aussage gegen Aussage.
Der angeklagte Busfahrer, Jens L., ein bulliger, grauhaariger Mittvierziger mit Ohrring, erklärt bereitwillig die Schwierigkeiten des nächtlichen Busfahrens mit pöbelnden Gästen, die manchmal „belehrt“ werden müssten. In diesem Fall war die Lektion ein Faustschlag ins Gesicht. Der 21-jährige Fahrgast, der eine Platzwunde davontrug, wurde anschließend von Jens L. noch aus dem Bus geworfen. Das bestreitet der Angeklagte auch gar nicht. Unklar ist nur das exakte Verhalten des stark betrunkenen Opfers. Fest steht lediglich, dass der junge Mann randalierte, als er merkte, dass der Bus nicht an seiner Haltestelle stehen geblieben war – und dass auf harte Worte gegen den Fahrer Tritte und Kratzer am Hals folgten. Das Fazit der Richterin fällt nüchtern aus: Verfahren eingestellt, Bußgeld 300 Euro.
Schließlich wird einem 54-jährigen BVG-Angestellten vorgeworfen, einen 22-jährigen Fahrgast geohrfeigt zu haben. Ausschließen könne er nicht, ihn am Kinn berührt zu haben, sagt der Mann vor Gericht. Das Gericht sieht jedoch eine Schuld auf beiden Seiten – und stellt das Verfahren ein.