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Mit voller Ente ins glücklose Exil

■ Karim Dridis Bye Bye erzählt von einer platzenden Stadt

Und Tschüß. Die schrottige Ente holpert übers Kopfsteinpflaster. Ismael und sein jüngerer Bruder Moloud verlassen Marseille. Zurück bleiben ein Dealer, eine kaputte Freundschaft und eine Familie, eingepfercht in einer Mini-Wohnung.

Glücklich ist niemand in Karim Dridis Bye bye. Die Menschen, meist Tunesier, schwanken zwischen der nordafrikanischen und der französischen Kultur. Einzig den Rechtsradikalen scheint klar zu sein, wohin sie gehören und wer genau dort nichts zu suchen hat. Marseille wächst seinen Bewohnern über den Kopf, und so ist Bye Bye auch gefilmt.

Die Kamera taucht in die Gassen des Arbeiterviertels „Le Panier“und wird in Treppenhäusern von Entgegenkommenden an die Wand gedrängt. Nur selten hebt sie den Blick über die Dächer der Stadt. Lieber starrt sie den Menschen ins Gesicht. Auf diese Weise hat Regisseur Karim Dridi Charaktere geschaffen, wo sonst Stereotypen locken. Ismaels stumme Oma bekommt Zeit für ihr Minenspiel, und die Tante darf Hausfrau sein, ohne zur Glucke zu werden. Schade nur, daß das Drehbuch bei allem Feingefühl für die Akteure den Frauen keine tragendere Bedeutung und keine spannenderen Verpflichtungen als das Traditionelle zugedacht hat.

Liebevoll und ganz genau betrachtet Dridi jedes Schicksal, auch jedes Schicksälchen. So genau, daß beinahe das Hauptthema verblaßt: Die Identitätsprobleme nordafrikanischer Einwandererkinder. Moloud und Ismael sind in Frankreich geboren und fühlen sich als Europäer. Dennoch unterscheiden sie sich von den Charakteren anderer Beur-Cinéasten wie Matthieu Kassowitz oder Thomas Gilou.

Dridi zeigt Menschen, die sonst nur wenig im französischen Kino erscheinen. Seine Einwandererfamilie lebt nicht in einem schäbigen Vorort. Sie ist integriert. Und wenn die familiäre Macht des Patriarchen-Onkels schwindet, liegt das nicht an seinem vom Exil gebrochenen Geist. Die Zeiten haben sich einfach geändert.

Und als die übervölkerte Ente kurz vor dem Abspann Marseille verläßt, weiß man nicht, ob das ein gutes Ende ist oder ein böses. Anders dürfte es bei diesem Film auch nicht sein.

Judith Weber

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