: Mit kleinen Fehlern ins Centrum
■ Ein Oberhemd erzählt: Ich wurde begrabbelt.ZD+28.e
Berlin (kdw). Der linksalternativen tageszeitung ist gestern der Artikelentwurf eines 'Tempo'-Redakteurs kaum leserlichen Namens zugespielt worden. Wie aus Kreisen der „Troika“, der sogenannten Redaktionsleitung der taz, verlautete, ist inzwischen ein Graphologe hinzugezogen worden, der den Namen mit „'Mohr‘ oder 'Mehr‘ oder so“ angab. „Muhr“ oder „Mahr“ sei ausgeschlossen.
In dem etwa zehn Manuskriptseiten umfassenden Artikel mit der Überschrift Ich war ein Herrenoberhemd werden bisher geheime profitsteigernde und umsatzmachende Praktiken eines westdeutschen Warenhauskonzerns enthüllt, zu dem auch ein großes, am Tauentzien ansässiges Kaufhaus gehört. Der 'Tempo'-Redakteur, der zuvor monatelang das sexuelle Erpressungsgebaren deutscher Metropolenvermieter gesucht und gefunden hatte, schmuggelte sich Anfang Februar als tailliertes, kurzärmliges Button -down-Oberhemd (Größe 42) in die Herrenkonfektion des renommierten Kaufhauses KaDeWe. Hier seine Erfahrungen im O -Ton: „Hätte ich doch bloß eine Cellophanhülle gehabt. Aber nein, die wurde mir ja von den KaDeWe-Substituten runtergerissen. Die fanden das zu prol. Dann die Kunden, diese Grabschfinger, eklige schwere Goldketten, Siegelringe, Tätowierungen - und: Reichtum schützt vor Handschweiß nicht. (...) Dann Hoffnung. Ich werde runtergepreist. Endlich raus hier. Doch nein, als ich auch nach der Werbewoche noch grauschleierig in der Sonderkoje liege, werde ich doch nur verlegt. Und zwar zu Wertheim am Ku'damm. Ätzende Tourifinger tagtäglich. Sehnsuchtsvoll blicke ich Mitte März zur Abteilungskasse. Kauf mich einer, bitte! Es darf auch ein Schlachter aus Unterföhring sein oder ein Schaffner aus Husum. (...) Nach weiteren zwei Wochen lande ich im Erdgeschoß der Hertie-Filiale am Halleschen Ufer. Leider ist auch der DDR-Bürger schon zu verwöhnt. Immer wieder lande ich ganz unten im Grabbeltischhaufen. Aufatmen, als mich ein schwäbischer Student in die Umkleidekabine schleppt. Doch wieder Fehlanzeige. (...) Transport zu Bilka in der Hauptstraße. Ich werde noch mal aufgebügelt, was Wirkung bei den multikulturellen Unterschichten zeitigt. Doch das führt nicht zum ersehnten Rutsch über den Tresen. Die Schildchen zerfleddern, der Alarm-Button reißt langsam aus. (...) Bei zwei Verkäuferinnen schnappe ich auf, daß ich nun ins „Centrum-Kaufhaus“ am Ostberliner Hauptbahnhof kommen soll. Gott, gib mir Kraft und Hoffmann's Stärke.“
Wie die Redaktionsleitung der taz weiter mitteilte, sei der Fall inzwischen den Verbraucherzentralen in Ost und West zu Ohren gebracht worden. Sie hätten mit müdem Gähnen reagiert. Auch bei Harrod's in London, Macey's in N.Y. und Lafayette, Paris, sei so etwas möglich. Das Moskauer Kaufhaus GUM habe auf Anfrage mitgeteilte, daß schon Peter der Große mißliebige und unverkäufliche Pelzkragen nach Wladiwostok verbannt habe.
kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen