piwik no script img

Mit einem Ticket aus dem Knast

■ Tamilischer Koch kam gegen Vorlage eines gültigen Flugtickets aus Abschiebehaft frei. Einen Abschiebestopp nach Sri Lanka gibt es aber trotz der chaotischen Situation im Land nicht

Gestern war ein guter Tag im Leben des Ravichandran Sinniah: Nach acht Tagen wurde der Tamile aus der Abschiebehaft entlassen. Freunde hatten für ein Flugticket nach Sri Lanka gesammelt. Daraufhin kam der 30-Jährige auf freien Fuß.

Hinter sich hat er düstere Tage, seit er die Ausländerbehörde besuchte. Eigentlich wollte der abgelehnte Asylbewerber nur seine Duldung verlängern, wurde zum Warten auf den Flur geschickt. Nach einer halben Stunde standen plötzlich drei Männer in Zivil von der Wartebank auf und zeigten ihre Polizeimarke. Schon klickten die Handschellen, sein Geld wurde ihm aus den Taschen genommen. „Sie werden am 19. Oktober abgeschoben“, sagte ein Polizist. Heute weiß er: Er hätte gehen können, wenn er unterschrieben hätte, dass er freiwillig ausreist. Aber er verstand das Papier nicht, und seine Bitte um einen Dolmetscher fand kein Gehör. Weder seinen Anwalt durfte Sinniah anrufen, noch seinen Chef.

Der stand letzte Woche auf dem Schlauch: Sinniah ist Koch in einem Borgfelder Restaurant. Sein Chef hat sich in den letzten Wochen schon mal nach Ersatz umgesehen, weil die Abschiebung drohte. Aber das Arbeitsamt konnte ihm niemanden vermitteln. „Sinniah ist ein guter Koch,“ sagt der Gastronom. „Wissen Sie was das heißt?“ Er könne doch nicht seinen „Laden zu machen, weil der Koch abgeschoben wird“, schimpft der Gastronom. Auch ein prominenter Gast setzt sich für den Koch ein: Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel plädiert dafür, die Abschiebung „im Geiste des neuen Einwanderungsgesetzes“ aufzuheben. Auch das Bremer Friedensforum, die PDS und der Internationale Menschenrechtsverein fordern ein Bleiberecht.

Nun kann Sinniah erst einmal weiterkochen, aber nur bis zum 5. November. Dann geht sein Flug. Und davor hat der junge Mann Angst. Vor seiner Flucht 1995 sei er verhaftet und im Gefängnis gefoltert worden, sagt er, und zeigt Narben an Schienbeinen, Rücken und Kinn. „Es genügt, junger Tamile zu sein, um verhaftet zu werden“, sagt er. Im Gefängnis wurde er immer wieder auf Singhalesisch verhört, das er nicht versteht. Wenn er nicht antworten konnte, gab es Schläge. Einer traf ihn so aufs linke Ohr, dass sein Trommelfell beschädigt ist.

Aber diesmal, fürchtet er, könnte es noch schlimmer kommen: Nach Rebellenangriffen auf den Flughafen von Colombo sei die Sicherheitslage extrem angespannt, berichteten ihm Angehörige. Die Regierungskoalition ist geplatzt, und im Vorfeld der Neuwahlen am 5. Dezember werden gewalttätige Demonstrationen befürchtet. Und amnesty international warnte kürzlich, dass junge Tamilen mit Narben am Körper derzeit besonders gefährdet seien, unter Terrorismusverdacht verhaftet zu werden.

In seinem letzten Länderbericht schreibt das Auswärtige Amt, nach Verhaftungen könne man gegen Kaution hinterlegten. Aber der Bericht ist veraltet, weil das Amt vor den Wahlen keine neuen Informationen sammeln kann. Nikolai Jung vom Internationalen Menschenrechtsverein Bremen berichtet indes, die Lage habe sich verändert. Er hat jüngst in Sri Lanka den ehemaligen Bremer Asylbewerber Rajagopal Ponnaiah im Gefängnis besucht. Der wird seit seiner Abschiebung Anfang Oktober festgehalten. Die Freilassung gegen Kaution wurde ihm wegen erhöhter „Sicherheitsvorkehrungen“ verwehrt.

Innensenator Kuno Böse (CDU) denkt derzeit dennoch nicht über einen Abschiebestopp für Tamilen nach, den er für bis zu sechs Monate auch im Alleingang verhängen könnte. „Wir schauen da auch auf die anderen Länder“, begründet Sprecher Markus Beyer die Haltung des Ressorts. Und: „Wir gehen davon aus, dass es eine innerstaatliche Fluchtalternative gibt. Der „veränderten Sicherheitslage“ in Sri Lanka trage man dennoch, unter anderem durch Entscheidungen wie im Fall Sinniah, Rechnung. „Das Risiko, verhaftet zu werden, sinkt natürlich, wenn man ohne BGS-Begleitung ankommt“, so Beyer. Ein neuer Kurs der Ausländerbehörde sei aus solchen „Einzelfallentscheidungen“ allerdings nicht abzuleiten. Jan Kahlcke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen