: Mit einem Hauch von Kardamom
Geisterjäger bekämpft erfolgreich gegrillte Salatgurke in einem umgestülpten Bioladen
Die Geschichte fing an, als ich gerade von der Sache mit dem gespenstischen Tomatensalat zurück war, im Büro den Anrufbeantworter abhörte und mich nach vielem Abwägen für die Erscheinung mit der gegrillten Gurke und dem umgestülpten Bioladen entschied. Ich fuhr zu den Auftraggebern. Es waren die Besitzer eines Bioladens. Genauer gesagt, war es ein Ehepaar, das sich mit einer eigentümlichen Erscheinung in seinem Bioladen auseinander zu setzen hatte. Diese Erscheinung kam angeblich immer kurz vor der morgendlichen Öffnungszeit um 7.30 Uhr. Sie war riesenhaft (etwa 2,20 Meter hoch), sah aus wie eine Flasche Gebissreiniger und trug in der rechten Hand einen Spieß mit einer gegrillten Salatgurke.
Das wirklich Auffällige an der Erscheinung war jedoch, dem Vernehmen nach, ein maßstabsgerecht verkleinertes Gummigussmodell des Bioladens, das sie in der linken Hand hielt. Da der Laden nur aus einem einzigen quaderförmigen Raum bestand, mochte sie das Anfertigen des Modells höchstens drei Tage Zeit gekostet haben. Die sechs Flächen des Raumes waren, jeglicher räumlicher Geometrie zuwider, an den Außenseiten des Quaders abgebildet. Das entstandene invertierte Modell war an einem Stiel aus Holz befestigt, etwa so wie ein handelsüblicher Saugnapf gegen verstopfte Abflussrohre. Ich fand dies am nächsten Morgen alles bestätigt. Ohne einen Laut von sich zu geben, reckte die Erscheinung die beiden Gegenstände in die Luft, wobei an ihrem Flaschenhals eine rote Blase hervortrat. Das wiederholte sie dreimal, bevor sie mit hellem Leuchten verschwand.
Die Bioladenbesitzer schworen, dabei stets einen Hauch von Hochland-Kardamom wahrzunehmen, allerdings nur einen billigen ostindischen. Da ich aus Prinzip nur den teuren westindischen verwende, roch ich nichts. Ich war ganz auf meine Analyseinstrumente angewiesen. Frappanterweise zeigten diese einen ungewöhnlich hohen Anteil von Zitronensaft im zurückgebliebenen Ektoplasma der Erscheinung, das die Bioladenbesitzer bisher abends immer weggewischt und für heruntergefallenen Ziegenkäse gehalten hatten. Hatte der Gurkenträger, wie ich den Geist bei mir nannte, in einer essigfreien, ernährungsbewusst zubereiteten Salatsauce gebadet? War es vielleicht nicht eine Flasche Gebissreiniger, sondern eine Flasche Zitronensaft, welcher der Gurkenträger ähnlich sah? Weil ich mir keinen Reim darauf machen konnte, trat ich kurzerhand näher hinzu und nahm der Erscheinung den Spieß mit der gegrillten Gurke aus der Rechten.
Vielleicht hätte es eine bessere Lösung gegeben, von heute aus betrachtet, eine sanftere. Ich bin jedoch schon immer für das Ende mit Schrecken, das jetzt nicht lange auf sich warten ließ. Die Erscheinung verschwand mit hellem Blitz, ein Knall ertönte, und sämtliche Innenflächen des Bioladens wurden nach außen umgestülpt. Dies hatte unter anderem den lustigen Effekt, dass einer der Nachbarn, der gerade auf dem Klo gesessen hatte, nun abrupt zu uns in den früheren Hohlraum des Bioladens hereingeschwenkt wurde. Die Nachbarn oben drüber dürften indes auf ihrem Boden eine steil aufgerichtete Lampenstange und einige am Boden liegende, mit Ketten festgeschraubte Preis- und Hinweisschilder (Streichkäse aus eigener Herstellung) sowie eine über einen Meter lange eingestaubte Pappmöwe an einer Schnur vorgefunden haben, als sie, vom Nachbarraum erwartungsfroh ins Frühstückszimmer blickend, ihren gedeckten Tisch erwarteten. Dieser war mit einem satten Krachen zwischen uns Untenstehende herabgefallen. Die Stühle schlugen um uns ein, während ein Sprühregen aus zerstäubter Marmelade, Kaffee, Ovomaltine, Cornflakes und Glassplittern niederging. Die schwereren Gegenstände hatten uns zum Teil schmerzhaft an Kopf und Schulter erwischt. Staunend verfolgten wir so abseitige Dinge wie einen in enger und enger werdender Spiralbahn rollenden Marmeladenglasdeckel. Draußen auf der Straße fiel eine Oma in Ohnmacht, deren Mops vom Umstülpsog erfasst und zu uns hereingeschleudert worden war.
Wie gesagt, möglicherweise hätte man den Spuk auf elegantere Weise beenden können. Immerhin war er das damit. Die Besitzer waren froh und begannen geschäftig, in den umliegenden Wohnungen ihre Wandregale abzuschrauben. Ich sann noch etwas über die tiefere Bedeutung der Erscheinung nach. War jemand unzufrieden mit den Gurken? Hatte der Fluch eines streitbaren Modellbauers das Ehepaar getroffen? Eventuell spielten Schwankungen im feinstofflichen Äther eine Rolle. Höchstwahrscheinlich Letzteres.
Im Büro hörte ich mir die eingelaufenen Aufträge an. Ich kann mich noch immer nicht entscheiden zwischen der Sache mit dem Geist aus der Tintenpatrone, dem vereisten Lötkolben, der zersplitterten Scheibe After Eight, dem gewaltsam pürierten Jod-S-11-Körnchen und der guillotinierten Birkenstocksandale –mit Margarine. TOM WOLF