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Mit ebenbürtigen Waffen

■ Der Kampf der Geschlechter in zeitgemäß guter Verfassung: „Oleanna“, ein Stück u.a. über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz/ Gelungene Premiere im Jungen Theater

Mitten zwischen die Augen, wie eine gute Schlagzeile, trifft David Mamets neue Theaterattacke. Nach der Aufführung seines Stückes „Oleanna“ soll es in New York zu Tumulten im Zuschauerraum gekommen sein. Erhitzte Gemüter, empörte Reaktionen angesichts eines Stücks, das von „Political Correctness“ und sexueller Belästigung handelt, und dabei alles andere als ausgewogen gerecht ist, sondern wütend provoziert. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Schlagzeilen von Michael Jacksons Knabenliebe und den Vorwürfen gegen den schwarzen Richter Clarence Thomas, der seine Mitarbeiterin, mit schmutzigen Sprüchen und Anspielungen belästigt haben soll. Jetzt hat auch in Bremen die Regisseurin Claudia Oberleitner „Oleanna“ am Jungen Theater inszeniert. Eine gut getimete Entscheidung, eine Eigenproduktion des Jungen Theaters, die endlich einmal den Zeitgeist trifft.

Daß die 70er tatsächlich schon gut 20 Jahre zurückliegen, muß auch John lernen. Der Mittvierziger unterrichtet an einem amerikanischen College, hat gerade ein Buch veröffentlicht und hofft jetzt auf die Professur. In seinem Büro empfängt er Carol, eine seiner Studentinnen. Während ständig das Telefon klingelt und John mit einer Maklerin Verhandlungen über sein neues Haus führt - schließlich steht ein Karrieresprung in Aussicht - wird klar, daß es um Carols akademische Karriere weniger rosigbestellt ist. Johns rhetorische Höhenflüge, die aus einer unverdaulichen Mischung aus Kommunikationskritik und Kulturskeptizismus zusammengemixt sind und in schicken Statements wie „Fluch der modernen Bildung“ gipfeln, erzeugen bei der Studentin nur Unverständnis und eine schlechte Seminararbeit.

„Was meinen sie, was es mich gekostet hat, dieses College besuchen zu dürfen?“ hält sie ihm entgegen. Nun soll das alles zu Ende sein? John stellt Hilfe in Aussicht, wenn die attraktive Carol regelmäßig zu Einzelgesprächen in seine Sprechstunde kommt.

Wie immer das gemeint ist, aufgefasst wird der anzügliche Unterton. Die College-Frauengruppe rät zur Beschwerde, und Carol schreibt einen Bericht für die Berufungskommision. Am Ende wird John diese Darstellung eines harmlosen Nachmittags die Stelle kosten, seine Karriere beenden.

David Mamet, immer dicht am Puls der Zeit und oft noch einen Schlag schneller, hat schon früher sein Gespür für brandaktuelle Themen bewiesen. Als Theaterautor mit „Hanglage Meerblick“ und auch als Drehbuchautor von „The Postman always rings twice“ und vor allem mit „The Untouchables“ („Die Unbestechlichen“), dem Film zum Watergateskandal. In „Oleanna“ dreht er die berechtigten feministischen Forderungen zu einer Machtfrage um, die egoistischen Rachegefühlen Tür und Tor öffnet. Die Provokation des Stücks liegt in der Unterstellung, Frauen würden die gesellschaftliche Diskussion um sexuelle Belästigung und die erkämpften Rechte für perfide Intrigen mißbrauchen. John, der Uniprofessor, findet sich in einer kafkaesken Prozeßsituation wieder, in der er plötzlich als Opfer dasteht.

Wie immer, wenn es um sexuelle Belästigung geht, ist es mit der Objektivität vorbei. Immer steht Aussage gegen Aussage. Und immer nötigt einen die Geschlechtszugehörigkeit zur Parteinahme. „Oleanna“ setzt ganz auf diese Spannung, die aus der postulierten Unvereinbarkeit des männlichen und des weiblichen Blicks entsteht.

Hier liegt auch die Qualität der Inszenierung von Claudia Oberleitner. Fast bis zum Ende des Theaterabends gelingt es den beiden Schauspielern, den großen Kampf der Geschlechter mit ebenbürtigen Waffen zu kämpfen. Dabei beschert Michael Schildbeck als John dem Zuschauer ein amüsantes Wiederkennen des linksliberale Patriarchen von nebenan. Aber auch Martina Flügge gelingt der Balanceakt zwischen schüchterner Prüfungskandatin und kämpferischer Feministin, die sich im Laufe des Abends zur auftrumpfenden Rechtsfanatikerin entwickelt.

Zufällig oder nicht trifft diese Inszenierung auf den Kinostart des US-Thrillers „Enthüllungen“, dessen ähnlich gelagerte Thematik - sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - den Zorn der „Politisch Korrekten“ auf den Plan gerufen hat.

Susanne Raubold

Weitere Vorstellungen von „Oleanna“ vom 10.- 14. und 16.- 18. Januar um 20.30 im Jungen Theater, Friesenstr. 16-18

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